Alles was geschieht, ist durchtränkt von Sinn. Unmöglich, den Sinn zu begreifen, das ist dem kleinen Menschenwissen nicht gegeben. Genügt ihm zu wissen, Sinn ist. Als Bürge steht dieses Artefakt vor ihm, und schaut, und spricht. Das Artefakt legt Zeugnis ab. Das Menschtier ist kein Richter über die Hallen der Welt, so muss es die Zeugenaussage des Artefakts nicht verstehen, denn es muss ja auch kein Urteil fällen. Es findet keine freie Beweiswürdigung statt. Es genügt, dass das Menschwesen erkennt, erkennt mit überwältigender Gewissheit, dieser Zeuge spricht die Wahrheit. Und aus dem Umstand, dass dieser Zeuge die Wahrheit spricht, ergibt sich mit der gleichen überwältigenden Gewissheit: Wahrheit ist. Wahrheit ist in der Welt. Es gibt wirklich Wahrheit. Der Zeugenschaft des Artefakts entnimmt das Menschtier, Sinn ist. Alles Sein ist von Sinn durchtränkt, alles Sein ist sinnhaft. Ich bin ja so froh, denkt das Menschtier, so froh. Und heult vielleicht dabei, vor Glück. Sollte es jetzt Auskunft geben, worüber es denn so froh ist, das Menschwesen, es wüsste seine Gefühle gar nicht zu formulieren. Wozu auch? Die Freude bedarf keiner Formulierung, schon gar keiner Begründung. Die Freude beglaubigt sich selbst. Und gleichzeitig, während es sich freut, fürchtet sich das Menschtier, denn ihm ist klar, die Sinngewitter, die IHR All durchmalmen, sie würden mich zermahlen zu Staub, käme ich ihnen zu nahe. Von daher die grässliche Zeugenschaft der Artefakte. Sie sind dem Sinn des Alls näher als das Menschtier, und erlauben sich gerade so viel davon mitzuteilen, dass der Verstand des Menschtiers beim Hören aushakt. Und an diesem Verlust seines Gleichgewichts, in der furchtbaren Begegnung mit dem Artefakt, erkennt das Menschtier, Sinn ist, ich muss mich dabei beruhigen, dass Sinn ist, ich muss nicht wissen, welcher, das ist ja auch ganz egal, es ist so überwältigend, es ist ein so unbegreifliches Glück, endlich zu wissen, dass wirklich Sinn ist, und ja, ich verspreche, ich halte gehörigen Abstand, ich will doch nicht, dass mir mein ganzes kleines Leben um die Ohren fliegt.
Er hörte nie auf, der Junge, sich vor der schönen Königin zu fürchten. Sie murmelte Dinge ihm zu, solche Dinge! und sah dabei lächelnd ihn an, mit ihrem hochmütigen Blick unter halb gesenkten Lidern. Sie ist nicht von dieser Welt, dachte der Junge, das ist doch offensichtlich.
Auch er war nicht von dieser Welt, nicht so ganz, und auch das war offensichtlich.
Wenn das Menschtier hochgekeucht kommt zur Höhe seiner Zeit, und die Artefakte dort schon vorfindet, stellt es übrigens fest, die Artefakte haben sich gemehrt. Zahllose Artefakte sickerten ein in die Zeit, während der Geschichte des Menschwesens auf dem Planeten Erde, zahllose sind verloren gegangen, die Fülle mehrt sich dennoch, wird immerfort sich mehren, bis zum Ende der Zeiten, das ist versprochen. Wie lange auch das Menschtier bewohnt den Planeten Erde, es werden immer neue Artefakte hinzutreten zu denen, die schon da sind, und sie werden sprechen zu dem Menschtier.
Es ist deshalb ganz sinnlos, dachte der Junge, gebannt auf die Artefakte der Vergangenheit zu starren und zu sagen, das ist das alte Große, lasst es uns in einen Sack packen und auf den Buckel wuchten und damit der Zukunft entgegenschnaufen. Doppelt sinnlos ist das. Erstens werden sich uns immer neue Artefakte offenbaren, das wird nie ein Ende nehmen. Und zweitens sind die Artefakte, so schon da sind, nicht wertvoll als Zeugen der Zeit, da sie entstanden. Das sind sie auch, aber das ist nicht der Punkt. Sie sind vielmehr wertvoll, weil sie Artefakte sind, und weil die Enkel, wenn sie auf der Höhe ihrer Zeit ankommen, Zeit, von der wir Heutigen nichts wissen können, die alten Artefakte dort schon vorfinden werden, als Einwohner der neuen Zeit, und die Artefakte werden zu ihnen reden mit ungedachten Stimmen und sie belehren über die neue Zeit. Nicht über die Vergangenheit. Wir brauchen keine Belehrungen über die Vergangenheit, die Vergangenheit ist vergangen. Sondern Belehrungen über die Zukunft, in der wir ankommen, die brauchen wir. Die Artefakte sind immer schon zu Hause in der neuen Zeit, und nehmen uns bei der Hand, und führen uns rum. Wir wissen heute nicht, was die Artefakte, die heute schon da sind, übermorgen den Enkeln sagen werden auf der Höhe der neuen Zeit. Wie hätte der Hofoperndirektor zu seiner Zeit wissen sollen, was seine Symphonien uns Bewohnern sagen einer Welt, die er nicht wiedererkannt hätte? Was wir wissen, ist, sie werden den Enkeln gültige Dinge sagen, sie werden den Enkeln sagen, Sinn ist, Wahrheit ist. Sie werden sprechen. Ungedachte Dinge.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 29.03.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)