Waldemar und Eluard kamen unter der Plane hervorgekrabbelt. „Wir halten ja“, sagte Waldemar, „was ist los?“
„Aslan und Roger wollen Kienspäne schneiden“, murmelte Magdalena und lächelte.
„Dürfen wir runter?“ bat Waldemar.
„Jaja“, antwortete Magdalena, „springt nur und schaut euch um, aber gebt acht, und entfernt euch nicht zu weit …“
Die beiden Ochsen, besonders Moses Maimon, fühlten sich unbehaglich. Das niedrige Kieferngestrüpp kratzte an ihren Bäuchen, und verärgert versuchten sie, mit dicken Lippen die blaugrünen Nadeln auszurupfen, soweit sie herankamen, aber da stach es sie in die Nase, und sie mussten niesen.
Wenn ein Ochse niesen muss, ist das keine Kleinigkeit.
„Sie stehen nicht gut hier“, sagte Eluard.
Er trat zu Moses Maimon und streichelte die dicke dunkle Nase, und Moses Maimon hielt still und blickte ihn an aus den tiefen Ochsenaugen. Seltsam waren diese Tiere … Eluard fühlte die kurzen Haare unter seiner Hand, wenn man sie gegen den Strich streichelte, waren sie rau wie eine Bürste, und wenn man sie glättete, weich und kühl wie Seide.
Hermes Trismegistos schwenkte den Kopf herüber und schaute ein bisschen zu, wie Moses Maimon sich streicheln ließ, dann winkte er mit der Nase und versuchte, einen Schritt hin zu Eluard zu machen, was den ganzen Wagen erschütterte.
„Oh ja, du auch“, sagte Eluard und wandte sich Hermes Trismegistos zu.
Die dicken Ochsen … was sie wohl denken mochten? Wie die Welt wohl aussah, aus diesen feuchten runden Augen? Eluard versuchte sich vorzustellen, er säße in einem dieser Schädel, ganz drinnen, und blickte hinaus aus diesen Augen, wie aus Fenstern, und er sah den Weg, in nickender Bewegung, immer den Weg, den Weg …
Waldemar sah Eluard an, von der Seite her, er wusste, was in ihm vorging, er kannte das …
„Ich hab mal geträumt, ich wär ein Ochse“, sagte er.
„Ja?“ fragte Eluard, „wie war das? Erzähl’s mir.“
„Es war ganz komisch“, sagte Waldemar. „Ich war ganz dick und rund und schwer und schwarz, ja, und dann kam jemand, der hat mich geführt, am Halfter, und ich bin ihm nachgegangen, und da war ein großer Wagen, riesig war der, weißt du, ganz hoch bepackt, so ein Heuwagen oder so etwas, und dann wurde ich davorgestellt und eingeschirrt, ich hab richtig gefühlt, wie mir das Joch auf die Schultern draufgelegt wurde … und dann hat jemand zu mir gesagt, und das musst du jetzt ziehen, also den Wagen natürlich, und ich hab einen ganz furchtbaren Schreck gekriegt, das schaff ich doch nie, hab ich gedacht, und dann hat einer am Halfter gezogen, und ich musst anrucken, den ganzen Wagen, riesig war der, weißt du … und auf einmal ging das ganz leicht! Federleicht war das, ich hab einfach einen Schritt nach vorne gemacht, und der Wagen ist einfach nachgefolgt, leicht war der, leicht wie eine Wolke, ist einfach so hinterhergeschwebt, und ich hab noch einen Schritt gemacht und noch einen, und auf einmal hatt ich das Gefühl, ich fliege, ja, so richtig, als ob ich fliegen würde, ganz ohne Gewicht, und da ist mir ganz hohl und schwindelig geworden im Bauch, ja, und davon bin ich aufgewacht …“
Aus dem Wald hallten Axtschläge; Aslan und Roger hatten begonnen, Äste zu schlagen, schwer war das Holz von Harz, das würde gut brennen, mit klarer Flamme.
Grand Mère kam zu den Männern gelaufen; in der einen Hand trug sie ein Messer, in der anderen einen bauchigen Weidenkorb. Sie wollte Sprossen schneiden, der Absud hilft gegen Husten und Schnupfen und überhaupt gegen alle Affektationen, denen die Atmungsorgane ausgesetzt sind, junge Sprossen sind am geeignetsten, bei denen bricht die Oberhaupt beim Kochen, so dass das Wasser herankommt an die inneren feinen Fasern, man kann sie frisch verwenden oder getrocknet, frisch ist die Wirkung natürlich am stärksten, aber alles in allem macht es keinen großen Unterschied …
Heilsam ist und kräftig die Tätigkeit der Kiefern, oft hilft es sogar schon, wenn man einen Kranken, den der Katarrh gepackt hat, zum Spazierengehen in den Wald schickt, täglich mehrere Stunden, das ist eine richtige Kur, und wirkt Wunder, mit Vautrins Beistand … tief durchatmen muss der Kranke, bis es ihm in den Adern prickelt …
Grand Mère steuerte auf einen herabhängenden Ast zu, den sie vom Boden aus erreichen konnte, dicht besetzt war er von einem Kranz heller junger Nadeln, mit blaugrünem Schimmer, die waren geeignet, Grand Mère machte sich ans Werk.
Auf dem Wagen saß Inge und redete mit ihrer Mutter.
„Eigentlich geht es mir nicht schlecht“, sagte Magdalena, „nur so schwach fühle ich mich, so müde …“
„Es beunruhigt mich …“ sagte Inge.
„Aber nein“, wehrte Magdalena ab, „es ist nicht schlimm, schönes Kind …“
Inge legte den Arm um sie und küsste sie zärtlich, sie war ein gutes Mädchen, ein wenig streitsüchtig eben, und zänkische Frauen lieben oft ihre Mütter am innigsten, wer weiß warum, Vautrin hat es so eingerichtet.
„Du wirs dich ausruhen“, fuhr Inge fort, „jetzt und heute Abend, dann wird es sicher besser gehen … warum legst du dich nicht in den Wagen hinein, unter die Plane?“
„Bei Vautrin!“ fuhr Magdalena auf. „Dann wäre ich ja wirklich krank, was denkst du …“
Inge lachte. „Manchmal bist du schon komisch, weißt du“, sagte sie und legte den Kopf an die Schulter ihrer Mutter. „Auf jeden Fall wirst du heute nichts mehr tun, ich werd aufpassen.“ Sie schwieg einen Augenblick, dann fuhr sie fort: „Schau mal die Kleinen, sie sind süß, nicht wahr?“
Eluard und Waldemar standen bei den Ochsen und diskutierten miteinander, man konnte nicht verstehen, was, da sie mit gedämpfter Stimme sprachen, aber es musste wichtig sein, denn sie redeten in tiefem Ernst, mit weiten Gebärden, wie alte Männer, die die Vorräte des Winters besprechen … und die Ochsen standen dabei und hörten zu, unbewegt, man sah vom Kutschbock aus nur die Hörner und die schwarzen Ohrmuscheln, nach vorne gerichtet …
Magdalena lachte auch. „Ja, wirklich“, sagte sie, „was sie nur wieder zu bereden haben? Sie sind hübsch, nicht wahr, alle beide …“ Inge schaute wieder traurig, und Magdalena streichelte ihren Arm und fuhr fort: „Er hat dich gern, Eluard, weißt du …“
Inge nickte. „Ja, und ich hab ihn auch lieb … er ist so … hell, verstehst du …“ Sie brach ab, schaute hinüber zum Weg, und schaute genauer, und sagte verblüfft: „Sieh mal, was da kommt …“
„Oh ja“, antwortete Magdalena und schaute auch, „der ist ja seltsam …“
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 24.03.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)