Die Gerechtigkeit der Erklärer

Ein Menschtier, in dem die Lüge der Belehrer übermächtig zu werden droht, tut gut daran, alle die Beschnauzungen fallen zu lassen. Es geht doch um die Wahrheit, wird dem Menschtier zugerufen, worum sonst, du musst doch etwas haben, woran du dich festhalten kannst, du musst doch etwas haben, was du glauben kannst, einen festen inneren Halt musst du doch haben!

Warum das denn?

Wenn dem Menschwesen keine Gewissheit über den Weg kommen will, sollte es sich zuallererst sagen, nicht meine Schuld, denn ob die Gewissheiten kommen und sich einem Menschwesen zeigen, das entscheiden die selber. Ich kann ja beten und darum bitten, dass SIE mir die Begegnung schenkt mit einer Wahrheit. Aber ob SIE das Gebet erhört, das ist wieder nicht meine Entscheidung, sondern IHRE. Mehr tun, als durch IHRE Welt zu spazieren und die Augen offenzuhalten, kann ich nicht.

Ihr versteht, das Menschtier ist nicht verpflichtet, Wahrheiten zu finden. Das Menschtier ist nur gehalten, aufmerksam zu bleiben und neue Begegnungen mit fremden Gestalten nicht zu scheuen.

Sei kein schwankend Rohr im Wind! schreien die Pädager. Du musst dich entscheiden! Du musst dich bekennen!

Den Pädagern ist die Wahrheit ganz egal, auf das Rudel kommt es ihnen an. Sie empfinden jeden, der in ihrer scheißigen Gemeinsamkeit nicht mitmacht, als Bedrohung. Es hilft dem, der nicht mitmacht und vielleicht gar nicht mitmachen kann, es hilft dem nichts, wenn er sich abseits hält und ehrlich versucht, so unauffällig wie nur möglich seiner Täglichkeit nachzuleben. Er macht nicht mit. Das reicht. Das langt jetzt! Das macht ihn so auffällig, als würde er eine Kindertröte blasen. Denn jeder, der nicht mitmacht, gilt dem Rudel als Bedrohung. Wahrheit gilt dem Rudel als eine Urinmarkierung, nicht mehr. Was fragt das Hyänenrudel nach Wahrheit jenseits des Rudels? Sie erkennen sich gegenseitig am Geruch, das genügt, und das bloße Dasein des Rudels bezeugt ihnen sein überwältigendes Lebensrecht, und sie machen mit, sie haben gar keine Wahl.

Die Menschwesen sind mehr als die Hyänen, sie sind Personen, sie wollen das nicht verstehen, sie hassen das, sie wollen Rudel sein und ihre Einzelheit, die doch ihr kostbarstes Gut ist, dahinwerfen. Sie wollen nicht Person sein, sie wollen gemeinsam sein, und wollen sich von der Gemeinschaft die Regeln vorschreiben lassen.

Wohl, gewisse Dinge müssen dem Menschenkind beigebracht werden, und verbindlich beigebracht, es muss sich ja zurechtfinden in der Welt. Aber es sollte praktisch belehrt werden, von anderen Menschtieren, die wissen, wovon sie reden. Wenn ein Erklärer, stehend vor wehrlosen Menschenkindern, anhebt zu erklären, dann lässt sich seine Gerechtigkeit leicht ermessen. Der gerechte Erklärer hebt stets an mit den Worten, wie macht man das? und dann macht er vor. Macht vor mit seinen eigenen Händen. Ein Erklärer, der wehrlosen Menschenkindern erklärt, wie die ganze Welt beschaffen sei, kann niemals ein gerechter Erklärer sein, denn kein Menschwesen weiß das. Ein gerechter Erklärer hat immer ein anfassbar Ding in der Hand, und erklärt den neugierig herbeidrängenden Kindern, wie man umgeht mit dem Ding. Die Welt ist kein Ding für die Menschwesen. Wie könnten sie die Welt in die Hand nehmen, zu demonstrieren, wie umzugehen sei mit diesem Ding? Sind sie GOtt? Die Welt ist für kein geschaffenes Wesen ein Ding. Die Welt ist für alle geschaffenen Wesen der Ort in Raum und Zeit, da sie sich vorfinden. Wenn ein Köter der antimodernen Revolte kläffend eindringt auf ein wehrloses Kind und ihm genau erklärt, wie die Welt beschaffen sei, die Welt, von der der Köter selber doch gar nichts wissen kann, was soll dabei herauskommen?

Nichts Gutes, dachte der Junge. Er war ein Kind gewesen, er war unterrichtet worden. Hatte er gute Erinnerungen daran, so bezogen sie sich auf praktische Unterrichtung, auf Menschen, die nicht belehrten, sondern vormachten. Er war umringt gewesen von Teigfassaden, die nicht konnten, sondern besserwussten. Die explizierten und erhaben kritisierten. Die vorspiegelten und täuschten. Die Wissen behaupteten, ohne es zu besitzen. Die Sätze erblechten als gültige Wahrheit, die sie doch selber bloß irgendwo gehört hatten. Die bloße Überkommenheiten als Gültigkeiten auslogen, ohne den Geltungsgrund angeben zu können. Die zusammengelesene und aufgeschnappte Sätze als eigenes Wissen dem Kind dem Jungen jedem Kind um den Hals zu hängen versuchten. Warum eigentlich? Das Kind sollte gläubig zu ihnen aufblicken und denken, sowas Großes! Sie waren darauf angewiesen. Angewiesen, von einem Kind bewundert zu werden. Angewiesen, ein Kind zu betrügen.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 21.03.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)