Welt, überall

Der Junge sah dies alles und konnte sich vor Entzücken nicht fassen. Welt war in dem kleinen Mäuerchen hinter dem Haus, in den lockeren Ziegeln. Welt war unter dem Dach und in den Pfützen des Gewitterregens. Welt war im Wolkenzug und in dem erregten Zanken der Spatzen. Welt war im Sonnenglanz über dem Morgenstrom, im Wellengeblitz. Welt war im Schienengeklirr der Straßenbahnen, und im Regentrommeln auf den Fensterscheiben.

Welt war in allem was ruiniert war, denn die Ruinen waren der bevorzugte Ort, da Neues quoll. Bunte Ranken Federgebüsch in den Bombenkratern. Teiche Tümpel und die Heimlichkeit der Krötengänge. Spinngeweb im Holunderstrauch. Astwinken aus offenen Fensterhöhlen.

Wo immer er hinschaute, der Junge, quoll ihm Welt entgegen, war Welt schon da, kam ihm Welt entgegen. Kam ihm entgegen aus ihrem Dahinter und Vorher. Er stolperte durch seine Gelände, und überall war sie schon da: Welt. Welt Welt Welt. Hier war sein Ort.

Sein Ort sein Zuhause.

Im Dahinter und Vorher und Immerschon der Welt.

Nicht im Dazwischen der Teigfassaden.

Seltsam, dass alles dem Jungen einerlei Welt war, Welt Welt Welt: der Glanz aus dem Jenseits der Wolken wie der spiegelnde Sandgrund der Pfützen. War alles Welt, einerlei Welt.

Welt waren die schnobernden Blicke der Katzen, über zitternden Schnurrhaaren.

Welt war das weitgebärdige Bedeuten der Bilder, aus staubigen Buchgebreiten.

Welt war das Mauerwerk alter Burgentrümmer, auf dem sich die smaragdenen Eidechsen sonnten.

Welt war das sonore Summen stiller Klosterheimlichkeiten, herauf aus der Tiefe der Jahrhunderte.

Welt war der glitzernde Juxtumult der Wörter, die wussten Kloß und Kloster und Kloß im Hals, Ritter und Rettich, Husten und hastig und Horst

überhaupt, der Horst!

und Wunder und Wunde und Wut, die wussten Vergangenheit und Verlangen weit, die wussten Gesang und Abraham und Wege und Stege.

Welt war das Scharren und Krabbeln kleiner Tiere, Gänge hinunter ins Erdtief, wo Heimat sein mochte, Heimat in Heimlichkeit, im Stollenreich im Krumendunkel.

Welt war im Zickzackschwirr des Vogelflugs, im Tschilpen der Morgentränke.

Welt war im Wolkentreiben überm Astgewirr, blaue Regenluft heimsuchend den Blätterwald das Rankengestrüpp.

Welt war im Sand der Tage, Sand nass und schwer von Regen.

Welt war im Trittgetrappel vor dem Fenster, Tritte Schritte Millionen Tritte auf dem Trottoir der Tage den Bürgersteigen den Bückesteigen wo sie langgehen alle langgegangen waren die Straßen die Winkel die Plätze, waren langgegangen die Gassen und Wege, waren sie langgegangen die Guten die Bösen die Gleichen die Armen die Reichen die Richtigen die Falschen waren sie langgegangen gegangen gegangen

Welt war in den Türmen war im Geläut der Türme krähenumkreist

Welt war in den dunkel goldenen Uhrengesichtern

Welt Welt Welt

Welt war in den Glanzgewichten des Morgens lodernd über alle Horizonte

Welt war in den Richtigkeiten war in den Gerechtigkeiten war in den Rechtsprechungen der Regenhimmel

Welt war im Strauchgebimmel der Frühlingsoasen nah so nahe am Fluss

Welt war im Jenseits der Flussufer, drüben, auf der anderen Seite!

Welt war in den Loderworten aus offenbaren Augenblicken, im Bedeutungsdonner offener Seiten

Welt war in den sich öffnenden Himmeln, zu unerwarteter Zeit, wie kann es sein, dass einer die Himmel aufschlägt wie ein Buch, wie kann es sein, dass du ein Buch aufschlägst wie die Himmel im Morgenglanz

Welt war in den Berichten der Frühlingssträucher, in murmelnder Rede von Schlaf und Morgengeburt

Welt war in den kühnen Worten von alten Zeiten

Welt war in der lodernden Rede vom Morgen

Welt war in allen glutgesättigten Sommerabenden, so lang und goldgrau schwebend

Welt war in den Abendglocken, im langen Verdämmern

Welt war in Milch und Traum, in Schlaf und allem Licht hinter geschlossenen Lidern

Welt war in den Erinnerungen und den Versprechungen

Welt war in allen Liedern und Geschichten

Welt Welt Welt

Welt in den Worten Welt im Hufgeklapper der späten Gäule, Welt vor Traum und Schlaf

Welt in den stürzenden Säulen der Nacht

Welt im Schneegestöber der Sternennacht

Welt im Lichtergleiß über dem Mond

Welt.

War alles Welt, einerlei Welt.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 13.03.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)