Wo er hinkam, war Welt. Welt war immer vor ihm schon da. So sehr er sich beeilte, so eilig er um Ecken spähte, immer war Welt schon da.
Der Junge war glücklich. Das klingt nun seltsam, aber es war Glück in seinem Leben. Ein loderndes, jauchzendes Entzücken, das alles Entsetzen und alle Angst durchlichtete. Das Glück war Entzücken über die Allgegenwart der Welt, Welt quoll herein in das kleine Dasein des Jungen zu allen Fugen und Ritzen, Welt war überall, sie wucherte wie die Wälder und die Gesteine der alten Häuser. Welt wucherte wie der nie genuge Wolkentumult unter den Himmeln, das weißschlierige Fetzengebaren dort oben, Welt wucherte in den Pfützen, da die Wolkenwirbel sich spiegelten. Welt war Geschenk, aus übergebärdigem Quell. Quell, der niemals sich erschöpfte, Quell des Überfluss.
Welt war überflüssig, gleißend, prachtgebärend, Welt war übermütig, spähte um alle Ecken, kam hervorgeschossen aus allen Winkeln.
Welt war der Ort des Jungen.
Der Ort der teigigen Gesichtsfassaden waren sie selbst. Und nichts sonst. Von Teigfassade zu Teigfassade spannen sich die Laute, die schielenden Blicke, woben ein Gespinst, das sich in sich selbst verschloss. Zubetoniert die Horizonte. Alle Geltung galt nur von Teigfassade zu Teigfassade. Es gab keine Wichtigkeit als allein die Wichtigkeit der Teigfassaden, ihr Urteilen und Verurteilen, ihre Prügelmacht ihre Brüllmacht. Ihr Verständnis ihr Verstehen. Was die Teigfassaden nicht verstanden, das gab es nicht das galt nicht das hatte kein Recht zu sein.
Sie sahen nichts anderes als sich selbst, die Teigfassaden, sahen sich gegenseitig sahen sich an und sahen nichts sonst an. Sie wussten nichts von Welt und Gott. Gott war, wovon die eine Teigfassade redete zu den anderen Teigfassaden. Gott hatte kein Sein, außerhalb des Redens der Teigfassaden zueinander. Welt war die Welt, über die sie redeten, die Teigfassaden.
Glaubten sie.
Der Junge aber sah überall Welt. Sah Welt jenseits der Teigfassaden, vor allen Teigfassaden, im Jenseits aller Teigfassaden, im Außerhalb aller Teigfassaden. Sah Welt hereinquellen zu den unverstopfbaren Fugen und Ritzen zwischen den Teigfassaden in den Teigfassaden. Sah Welt im Immerschon und Vorher.
Er sah den lodernden Glanz der Welt, er sah den Überfluss der Welt. Er stolperte hinein in das Entgegen der Welt, und er fasste nicht, dass ihm solches Glück wurde.
Die Welt hatte Bedeutung. War voller Mahnung Ansprache Sinn Gewissheit. Was diese Bedeutung sei? was der Sinn der Welt? konnte man nicht sagen, konnte man nicht wissen. Sinn und Bedeutung waren über alles Begreifen, über alles Begreifen wunderbar. Wie soll man aussprechen den Sinn der Welt? Aussprechen heißt verärmlichen. Wozu das. Viel zu langsam, das Begreifen. Du verstehst, verstehst mühsam, meinst jedenfalls zu verstehen, greifst nach Worten, die sind ohnehin unwillig, lassen sich nur greifen, wenn ihnen gerade danach ist, du meinst, jetzt hast du sie im Griff, in Wahrheit machten sie sich lustig über dich, bleiben so lange bei dir, wie es ihnen gefällt, und du setzt sie zusammen und sprichst sie aus, die Wahrheit der Welt, sprichst ihn aus, den Sinn der Welt – und wenn du endlich so weit bist und alles schön geordnet hast und die Worte gegriffen und zusammengesetzt: da ist Welt schon weiter, viele viele Zimmer und Wolkenfluchten weiter, und du stehst dumm und schaust mir offenem Mund, und während du stehst und schaust, strömt und quillt Welt ein durch die Fugen und Ritzen, ungebärdig und überflüssig, strömt herein aus ihrem Überall und Immerschon, und schleudert und verschwendet Sinn in überschwappenden Schwällen.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 11.03.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)