Weit war das Grasland, durchsetzt von wenigen Baumgruppen, weit und sacht geschwungen; und vorne lag die Stadt.
Die Dächer und Mauern funkelten und glänzten in der feuchten Luft.
Der Weg schlängelte sich gemächlich durchs Gelände, kaum war er zu erkennen, gerade, dass man von der Höhe des Kutschbocks herab unter dem dichten Gras einen etwas helleren Grund ausmachen konnte, heller und sandiger als der Boden daneben. Die Tiere wateten bis zur Brust in den Graswellen, die Ochsen schüttelten die Köpfe, da ihnen die Halme in die gesenkten Nüstern stachen und kitzelten, das Pferd, hochbeiniger, lief geschwind voran, doch nicht ohne Unruhe, da es nicht sehen konnte, wohin es trat.
„Gleich sind wir in der Stadt“, sagte Waldemar zu Eluard. Eluard nickte und schaute abwartend.
Waldemar war unglücklich, er wusste nicht, was er tun sollte … Eluard antwortete auf Fragen, ja, das tat er, er redete ganz bereitwillig, wenn er angesprochen wurde, aber eben nur dann, von selbst sprach er nicht.
Waldemar versuchte es noch einmal. „Es gibt sicher bald Regen“, sagte er und blickte zum Himmel, zu den grauen Wolkenbäuchen. „Weißt du, was wir machen, wenn es regnet?“ Eluard schüttelte den Kopf und hörte aufmerksam zu. „Wir setzen uns alle hinein in die Wagen, und ziehen die Planen zu, da ist es ganz trocken drin.“
„Wirklich?“ fragte Eluard, mit Interesse. „Und die Ochsen?“
„Na, die bleiben natürlich draußen, die ziehen weiter, und auf dem Kutschbock sitzt Aslan, dem macht das nichts aus, wenn er nass wird, bloß Roger, der schimpft immer … er lenkt das andere Gespann, weißt du …“
„Und durch die Plane, da kommt kein Regen?“ fragte Eluard.
Waldemar schüttelte heftig den Kopf. „Nie … also manchmal, da gibt es eine Stelle, die ist undicht, aber Grand Mère macht dann so eine Flüssigkeit, im Topf, und die streichen sie dann drauf, und dann ist alles wieder heil …“
Eluard sagte: „Ich bin mal auf einem Wagen gefahren, da ist alles ganz nass geworden … aber das war so ein kleiner, mit zwei Rädern, so ein bisschen wie der hier … aber gewackelt hat der! Und das Rad ist auch einmal gebrochen, das war schlimm, da mussten wir laufen, ganz weit, weißt du, und den Wagen haben wir liegenlassen, nur das Maultier haben wir mitgenommen, und dann sind wir gelaufen … ein Mann war das, ein Händler, der war schon alt … und dann war das so weit, ich konnte nicht mehr laufen, da hat mich der Mann auf das Maultier gesetzt … aber er konnte nicht auch reiten, das Maultier ist bloß weitergegangen, wenn es jemand am Zügel hielt, oder wenn es eingespannt war, aber einfach so, da hat es sich nicht von der Stelle gerührt, man konnte gar nichts machen … ja, und dann wurde es schon dunkel, und der Mann hatte große Angst vor den Wölfen, man hat sie gehört, weißt du, sie haben geheult im Wald, und der Mann ist gelaufen, so schnell er konnte, und er hat so getan, als wär nichts, weil er nicht wollte, dass ich auch Angst kriege …“
„Und?“ fragte Waldemar mit Spannung. „Hast du Angst gehabt?“
Eluard zuckte die Achseln. „Ach, nicht so sehr. Ich saß ja oben, auf dem Maultier, und außerdem, was hätt ich schon tun können? Wir sind dann auch zu einem Dorf gekommen, die haben alle schon geschlafen, das war schon ganz spät, Mitternacht … die haben einen schönen Schrecken gekriegt, als wir gekommen sind, mitten in der Nacht! Das war komisch, der alte Mann hat geklopft und geklopft und gegen die Tür gehauen, und dann hat es geknarrt, oben, und der Fensterladen ist aufgegangen, und dann hat einer eine Laterne rausgehalten, weißt du, zuerst die Laterne, zuerst kam der Arm mit der Laterne, und dann hat er auch den Kopf rausgestreckt, und weißt du was, haha, weißt du, was er aufhatte? Er hatte eine Zipfelmütze auf, und mit der hat er zum Fenster rausgeguckt, und dann hat er gefragt: ‚Wer ist da? Wer seid Ihr?‘ Der hatte vielleicht Angst!“
Waldemar lacht und ist begeistert. Eine Zipfelmütze, na sowas. So waren eben die Dörfler, ziemlich albern, alles in allem. „Ja, und dann?“ fragte er.
„Dann haben sie uns reingelassen, als sie sahen, dass wir bloß zu zweit waren, na, und am nächsten Tag sind sie losgezogen und haben den Wagen geflickt und geholt, und der alte Mann hat nichts gesagt, aber da war ein kleines Mädchen im Dorf, das hat es mir erzählt, weißt du, während der Wagen da lag in der Nacht, da waren tatsächlich die Wölfe gekommen und haben alles auseinandergezerrt und verstreut, die haben probiert, ob sie etwas davon fressen könnten …“
Waldemar war tief beeindruckt. Der hatte wirklich etwas erlebt, der kleine Eluard, und sieh an, der konnte ja erzählen …
„Wölfe“, sagte er und schauderte, „die sind gefährlich … aber an uns trauen sie sich nicht ran, Aslan sagt, sie bekommen Angst, wenn viele Leute da sind und ein Feuer, und dann die Ochsen, die haben Mut, weißt du …“
Und Eluard blickte sich um und betrachtete die riesigen Tiere, die schwer hinter dem Wagen des Maître einherstapften. „Ja“, sagte er, „das glaub ich, die sind groß und stark, die können kämpfen …“
Der Maître hörte mit halbem Ohr zu. Der kleine Eluard, dachte er, er sieht so schüchtern aus, aber er hat doch Selbstvertrauen, und er ist ganz gescheit, Waldemar übrigens auch, man könnte sie viele Dinge lehren, jaja, aus beiden könnte ein Maître werden … aber unsicher ist das, was weiß man schon, wohin die Neigungen eines Kindes gehen, das Bücherlesen ist nicht jedermanns Sache …
Er dachte mit Sorge daran, wie schwer es oft ist, einen Nachfolger zu finden, wenn Vautrin einen der Maîtres abberuft … man tauscht sich aus, gewiss, mit Köln, mit Prag sogar, mit London, aber überall dort haben sie die gleichen Probleme, es gibt so wenig Menschen, und die brauchen ihre Kinder, brauchen sie bitter, damit die Städte und die Dörfer am Leben bleiben und Hoffnung haben, sie mögen sie nicht zu den Maîtres schicken, man kann das verstehen. Wenn er selbst, dachte er, wenn er selbst ein Kind hätte … ach, bei Vautrin, warum tat er sich nur so schwer.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 17.02.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)