„Hör … auf ein Wort!“ flüsterte Warlam und zupfte Aslan am Ärmel.
Der Kaufherr, der gerade über die Schwelle hinaus ins Freie wollte, drehte sich um.
„Bruder Warlam?“ sagte er fragend.
Warlam warf ein paar misstrauischen Vogelblicke um sich, packte seinen Gast am Ärmel und sagte: „Nicht hier … gehen wir hinaus. Du folgst mir, sei so gut.“
Er zog den unüberzeugten Kaufherrn über den Hof und in das Gestrüpp neben dem Schuppen, in dem der Falbe des Maître schnaubte. An die Schuppenwand gebunden stand die Ziege, knabberte am kargen Kraut und wartete darauf, gemolken zu werden; sie beschielte die beiden Männer und stieß mit den Hörnern nach ihnen, versuchsweise, in die Luft hinein.
Warlam betrachtete die Ziege mit Abneigung und sagte: „Nein … nicht hier … gehen wir ein Stück weiter, sie kann uns hören …“
„Die Ziege?“ fragte Aslan gereizt. „Höre, Bruder Warlam …“
„Nein, nein“, entgegnete Warlam und zog Aslan noch weiter ins Gebüsch hinein, „das ist schon richtig so. Man muss vorsichtig sein. Also …“
Aslan folgte dem unruhigen kleinen Mann, es ist ihm wohl wichtig, dachte er, aber hoffentlich macht er es kurz.
„So“, sagte Warlam, „hier sind wir ungestört, hier hört uns niemand.“
Der Grund war morastig, überwuchert von dichtem Weiden- und Binsengestrüpp. Gerade das Dach von Warlams Haus war noch zu sehen.
„Also?“ fragte Aslan.
„Bruder Aslan“, hub der kleine Mann an, „kundigen Rat gabst du mir gestern, aus der Tiefe deiner Erfahrung, echten Wertes voll. Glaub mir, gelegen hab ich die ganze Nacht, gelegen und gegrübelt und erwogen, jawohl, der Schlaf mied mein Haupt, gar beunruhigte sich – Miriam, mein Weib … Bruder Aslan, reich bist du an Kenntnissen, wirklich, nun mach überfließen das Maß deines Rates …“
„Hm“, machte Aslan, „und was willst du, das ich dir raten soll?“
Warlam schaute ihn erwartungsvoll an und sagte: „Gehaltreich war deine Rede, von tiefem Sinn getränkt. Also, du sagtest, vornehmen sollte ich mir, was ich suchen will, dann werde ich finden. Ein tiefer Rat ist das, einleuchtend dünkt er mich … Nun rate du mir, was gut ist zu suchen, dass ich meinen Wohlstand mehre, Glück und Reichtum komme über mein Haus … was verlohnt der Mühe?“
„Kupfer“, sagte Aslan kurz.
„Kupfer?“, fragte Warlam. „Sprich dich aus, deutlicher, ich bitte dich, Bruder Aslan.“
„Hm“, sagte Aslan, „zunächst, ich muss dich fragen, denn du kennst die Stadt – es ist die am Fluss, bei der Großen Straße, die ist es doch?“
Warlam nickte. „Stets fahr ich dorthin, mit dem Kahn.“
„Und du bist der einzige Sammler?“
Warlam wiegte das Haupt. „Wohl. Vielleicht, ganz selten, kommt noch einer, einer der wandert, so ein Unsteter, ziehendes Gesindel, Vautrin geh ihm an den Hals, schnappt mir mein Eigentum weg … dass ihn die Krätze pack …“
„Was in den Orten und in Vautrins Gehäusen liegt, gehört jedem, der es aufnimmt“, sagte der Kaufherr kühl und überhörte Warlams Bemerkung von dem ziehenden Gesindel. „Und sonst?“
„Sonst ist da nur noch der Lotse, doch lebt er von seinem Beruf, geht selten sammeln, nur wenns die Notdurft will …“
„So bist du der einzige“, sagte Aslan. „Das Glück scheint mit dir, Bruder Warlam. Nun sage mir noch, wie ists mit den Straßen und Wegen, wie sie Vautrin gebaut … sind sie heil?“
„Heil?“ fragte Warlam, unbegreifend.
„Nun ja“, erklärte Aslan, „ich meine, hat jemand darin gegraben, Gräben ausgehoben wegentlang?“
Warlam starrte ihn verständnislos an. „Gräben wegentlang? Natürlich nicht. Wer sollte so etwas tun? Drück dich deutlicher aus, Bruder Aslan, wenn ich dich bitten darf.“
Aslan nickte. „So ist Vautrin mit dir, und ich darf dich beglückwünschen. Nichts bleibt dir noch, als dich an die Arbeit zu machen, und dein Glück ist gesichert.“
Er hielt inne, schöpfte Luft, hob dozierend die Hand und fuhr fort: „Merk auf und höre, was ich dir sage. Unergründlich sind Vautrins Werke und voll der Vorsorge, voll der Früchte für die guten Menschen, die seinen Winken nachgehen und der Mühe nicht scheuen, denn gemacht hat ers, dass es den Menschen gut gehe und sie ihren Reichtum mehren. So auch du. Denn bereit liegt für dich der Wohlstand, mehr, als du dir denken kannst, nur zupacken musst du, ich beglückwünsche dich.“
Warlam leckte sich begehrlich die Lippen und war ganz Ohr.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 04.02.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)