Der Planet Erde war nicht zu jeder Zeit bewohnt von immer den gleichen Wesen, sondern SIE hatte geschaffen und umgeschaffen den Tanz sonderlichster Unerlässlichkeiten, die Hekatomben der Formen und Farben und Figuren, und die Wesen hatten ihre Zeit auf dem Planeten Erde und hatten geblüht und waren wieder dahingesunken, das Menschtier war erschienen auf dem Planeten Erde, nach IHREM Willen, da war schon millionen- und milliardenfach gewesen der Morgen der Welt. Dennoch hat das Menschwesen Kunde von den Wesen, so vor ihm bewohnten den Planeten. Reiche und gewisse Kunde kommt ihm zu über das undichte Dach des Menschlichen, da träuft allewege Wissen ein, mit dem das Menschtier kaum etwas anzufangen weiß, Gestalten der Phantasie entdeckt es und unmäßige Zurichtungen, von denen erfährt es dann auf Umwegen, die waren wirklich einmal zugange auf dem Antlitz der wandelreichen Erde. Die toten Geschöpfe sinken in die Erde, und zuweilen werden ihre Gebeine zu Stein. Nichts vergeht. Alle Wesen, die je atmeten auf dem Planeten Erde, sind wieder in ihn zurückgesunken, aus dem sie kamen, SIE erschafft die Wesen an ihrem Ort, und belässt sie dort, die Erde ist ein Gefäß voll Wunder und Wunden, alles was je den Odem hatte, ist aufgehoben in diesem Gefäß. Ihr versteht, bevor das Menschtier sich anschickte, den Planeten zu verlassen, war dies keinem Wesen dieser Erde vergönnt, kein Wesen, das den Planeten bewohnte, kam von außerhalb, kein Wesen verließ ihn, bis auf die Zeiten des Jungen, da erstmals einige kleine Tiere, hinaufgeschickt in die äußeren Welten mit den neu erdachten Fahrzeugen, verstarben im Außerhalb und dort blieben, das waren die ersten Wesen, die je verließen den rollenden blauen Ball, Millionen sollten folgen, als nämlich das Menschwesen seine Reise antrat zu den Sternen. Bis dahin aber und von Anbeginn an waren alle Wesen, so der Planet geboren hatte, im Tode auch wieder in ihn zurückgesunken, und so war die Erde nicht nur Schauplatz des Lebens, sondern auch ehrfürchtiges Gefäß alles Gewesenen. In dieses Gefäß hinein gruben nun die Menschwesen, hatten sie immer schon gegraben, um der dort vorfindlichen Schätze teilhaftig zu werden, und wurden fündig nicht nur der Metalle und der nützlichen Kohle und der Salze und der Edelsteine und Kristalle, sondern eben auch mancher Knochen, Reste verstorbener Wesen, so in der Zeit des Menschtiers nimmer gesehen wurden. Aus der Form dieser Knochen, und mit Hilfe der Nachrichten und Bilder und Erdichtungen, so aus dem Oberhalb eingesickert waren in die Menschenwelt durch das undichte Dach des Menschlichen, rekonstruierte sich das Menschtier mit immer wachsender Genauigkeit die Lebensbilder der untergegangenen Formen, ohne jedoch der Fülle des Vergangenen jemals gerecht werden zu können, es wusste das selber.
Der Junge hatte schon bei seinen ersten Besuchen in der Bibliothek Bücher gefunden, darin die Wesen der Vorzeit, nämlich der Zeit vor dem Auftreten des Menschen auf dem Planeten Erde, nach Kenntnis der Zeit beschrieben waren, mit bunten Abbildungen, in denen sich mehr die Vorstellungen der Zeit als die Wirklichkeit der Vorzeit spiegelten, aber darauf kommt es nicht an. Der Junge war hingerissen gewesen, Welten entstanden vor seinem inneren Auge, Welten der Frühe, nimmer endende Morgenländer über schäumenden Ozeanen des Aufgangs. Durch Regenwälder streifte er, da riefen Wesen hallende Töne, die kündeten von Erwartung und kommender Zeit. Und der Junge sah, es würde Zeit kommen, und immer noch Zeit, und immer noch. Er sah, das Ende der Wesen ist nicht das Ende der Zeit, und es werden immer neue Wesen kommen, und immer noch wird sein Zeit, und niemals wird sein ein Ende der Wunder. Zuweilen verließ ihn der Atem vor Ehrfurcht, er begriff, dass die Fülle der Welt nicht zu durchmessen ist. Er fürchtete sich vor den Untergängen, von denen berichtet ward, er lernte das Wort Aussterben, all die Wesen, von denen in den Büchern berichtet wurde, waren ausgestorben. Es musste ihm diese Kunde sehr früh geworden sein, denn er entsann sich, eines Tages die alte Tante gefragt zu haben, was das Wort denn bedeute, ausgestorben, und sie erklärte ihm ganz richtig, ausgestorben sind Tiere, die es heute nicht mehr gibt, ja, aber warum sind die denn ausgestorben, da kam mal Feuer vom Himmel herab, erklärte die alte Tante, und alles war aus, und dann kamen wieder neue Tiere, die es vorher nicht gegeben hatte, und der Junge, kleinkleines Kind, hielt den Atem an. Das Wort „aussterben“ beherrschte die Bücher über die Wesen der Vorzeit, warum sind die ausgestorben? fragten die Autoren und hatten viele Ideen, zur Zeit des Unnachahmlichen und zur Zeit der Enormen und noch zur Jugendzeit des Jungen erklärte man sich die Sache gern so, diese untergegangenen Wesen seien eben noch unvollkommen gewesen, das Leben habe sich vom Niedrigen zum Höheren entwickelt, und die weniger vollkommenen Wesen hätten den neu erscheinenden besseren weichen müssen, so sei die Welt nun einmal geordnet. Seltsamerweise glaubte der Junge kein Wort, nicht in dem Sinne, dass er darüber nachgedacht hätte, die Erklärung glitt einfach an ihm ab wie Wasser an gewissen Blättern. Die Erkenntnisse der Autoren, die solches sagten, widersprachen sich selbst, in seinem Verstande, denn die Nachrichten, die sie gaben von den untergegangenen Wesen, waren Nachrichten von wunderbaren Geschöpfen der Frühe, Geschöpfen des Aufbruchs und des nimmerruhenden Anfangs, diese Wesen waren nicht unvollkommen, sie waren umwoben von Zauber und Glanz, und sie waren Boten, Boten eines immerfort sich selbst bewährenden Versprechens, als welches lautete, siehe, ICH mache alles neu. Und das glaubte der Junge, daran hatte er keinen Zweifel, er sah ja jeden Tag selber, wenn er mit der alten Tante hinüberging zum Fluss, dass die Welt neu war mit jedem Tag, übersättigt von Glanz und Schimmer und Pracht, jeder Regentropfe ein Kristallschwert, das durchlichtete alles Gestrüpp der Heutigkeit und öffnete die Gelände hinein ins Hinaus und Forthin. Die ausgestorbenen Geschöpfe waren Boten der Frühe, und da die Frühe immer ist Kundschafter des Morgen, waren die Gewesenen Bilder des Möglichen. Für den Jungen redeten die Bücher nicht von Toten, sie redeten von Räumen des Möglichen. Nachher oder gleichzeitig, er wusste das später nicht mehr, fand er auch die Bücher über die alten Zeiten des Menschtiers, fand die Bücher über die Wundergestalten des alten Flusstals, daher die Büste der bunten Königin erhaben aufschien über seinen Geländen, und auch hier war ihm die Vergangenheit des Beschriebenen ganz egal, nicht vergangenes Leben schien ihm beschrieben, sondern vielmehr mögliches Leben, gereinigt von Verfall und Vergänglichkeit. Die alten Königreiche und die alten Götter, sie schienen ihm wunderbare Versprechen am Horizont, und die Gesichter aus den Gräbern schienen ihm Vorglanz kommender Geschlechter. Nichts war je vergangen, denn die Dinge, einmal vergangen, fanden sich alsgleich verwandelt in Möglichkeiten, und als solche in Färbungen der Horizonte. Dem Jungen war, wenn er in die Bücher schaute, als sähe er hinein in mögliche Zeiten, und solches ist die Geschichte ja auch, die Geschichte des Menschtiers auf dem Planeten Erde, ein Schatzhaus der Möglichkeiten menschlichen Lebens, im Guten wie im Bösen. Um seiner Geschichte teilhaftig zu werden, muss das Menschtiere hinuntersteigen in die Grüfte, aus allen Grüften aber erhebt sich IHR Versprechen auf Auferstehung. Kein Werden auf dem Planeten Erde aber ist umkleidet von solchem Glanz wie das Auferstehen. Jedes neue Geschöpf ist ein Wunder auf Erden, das gestorbene Geschöpf aber, hervorgehend aus IHREN Händen als ein neues Geschöpf, umkleidet mit einem neuen Leib, das ist nicht nur Wunder, das ist Erfüllung. Auferstehung, das ist ein unvergleichliches Versprechen, und da SIE niemals IHRE Versprechen bricht, eine unvergleichliche Wirklichkeit. Wäre die Geschichte des Lebens auf dem Planeten Erde nur die Geschichte einer Sukzession aufeinanderfolgender Generationen, die alle dahinsinken, und ihre Spuren verwehen, welchen Trost sollte dann das Geschöpf noch finden in seiner Einmaligkeit, die doch sogleich vorbei ist und nicht wiederkommt? Alle Geschichte wäre nur eine Geschichte des Umsonst und Vorbei. Womöglich würde dem verängstigten Menschtier noch gesagt, ja, aber die Früheren haben nicht umsonst geatmet, sind nicht umsonst gestorben, sie haben den Weg bereitet für uns! für unsere Höhe! – was die Dahingesunkenen verweist in die tiefste Hölle, bloßes Mittel zum Zweck also seien sie gewesen. IHRE Geschöpfe aber sind niemals nur Mittel, sie sind immer gewollte Gestalt, für sich gewollt und geliebt. Jedes Geschöpf, geschaffen von IHR, ist geliebt von IHR, welch höhere Würde wäre denkbar? Das Geschöpf, einmal entstanden, darf wissen, es hat sein Dasein für immer, es ward, da es gewollt war von IHR, und ist so enthoben der Sterblichkeit. Da es einmal wandelte auf dem Planeten Erde, geht es ein in das Immerfort. Du bist und du warst, sagt SIE zu einem jeden IHRER Geschöpfe, also wirst du immer sein. Dieses Versprechen verwirklichte sich dem Jungen schon in den Büchern: die Wesen, von denen in den Büchern berichtet wurde, waren gewisslich gewesen, und da die Bücher von ihnen berichteten, waren sie noch immer, so wie die Artefakte des alten Flusstals noch immer waren. Aber das Versprechen der Bücher auf Unsterblichkeit in Ruhm und Gedächtnis und Nachrede ist nur ein blinder Spiegel IHRES Versprechens auf Auferstehung. Jedes Wesen, von IHR geschaffen, ist IHRE Schöpfung, und IHRE Schöpfung geht nicht unter, alles ist bewahrt in IHR, alles ist aufgehoben in IHR, alles geht entgegen dem Ende der Zeit, entgegen der Verklärung. Am Ende der Zeiten werden alle Geschöpfe auferstehen mit verklärtem Leib, das ist das Versprechen, und das ist, was der Junge sah in den Büchern, in den unvollkommenen Rekonstruktionen untergegangenen oder ausgestorbenen Lebens: beschwörende Darstellungen verklärter Leiber, Entwürfe, glanzgesättigte Malereien möglichen Lebens.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 03.02.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)