Trödel

Ja, das waren wohl keine besonderen Schätze, die Warlam da hatte …

Roger und Aslan folgten ihrem Gastgeber, und der führte sie durch Haus, Keller und Speicher, zeigte seinen Besitz, die Beute aus der Stadt, er wollte nun verkaufen, er, Warlam, den Kaufleuten … auf ein Tauschgeschäft würde Aslan sich gegebenenfalls einlassen.

„Fleißig fahr ich zur Stadt“, sagte Warlam, „warum nicht? Da liegt alles, einfach so, Vautrin hats hingelegt, warum soll ichs nicht aufheben? He? Eine Sünde wärs, es liegenzulassen, sag ich immer, eine Sünde sag ich, wie?“

Er schien angriffslustig, auf versteckte Weise, als bekämpfe er alte Vorwürfe.

„Ackerbauer!“ sagte er mit Verachtung. „Wenn Vautrin mir die Stadt vor die Füße geschmissen hat … na? Und verdien ich nicht bei dem, was ich finde? Nähr ich nicht mein Weib und meine Familie, he?“

Aslan schaute ihn ruhig an. „Mein Vater selbst war Sammler in der großen Stadt. Ein mühsam Gewerbe ists, verlangt Fleiß, Kenntnisse, Ausdauer, du wirst es wissen, nichts fällt einem in den Schoß …“

„Nein“, sagte Warlam mürrisch, „ja. Aber ich, ich weiß die Dinge. Brauch niemanden, ders mir sagt. Ist alles hier“ – er tippte an seinen Kopf – „hier drin. Brauch niemanden.“ Und misstrauisch fuhr er fort: „Sag auch niemandem was. Könnt einer kommen und mir das Beste wegschnappen, was? So ein Schnapper, so ein mieser, windiger! Könnt kommen! Aber ich weiß alles, ist alles hier drin, und ich sags niemandem.“

Seine Sammlung sah nicht aus, als hätte er das Beste geschnappt. Trödel, Gerümpel, viel Holz zumal, er schien nicht widerstehen zu können, wenn er hölzerne Möbel sah, dabei weiß Vautrin, wie wenige gut erhaltene Holzmöbel es gibt in seinen Gehäusen, alle hat der Wind zerfressen, der Regen, das Wetter, Nacht und Kälte, die Würmer endlich … zu schweigen von jenen, die Vautrin aus Spänen gebildet, geleimt und gepresst, hinsinken sie zu Brei, wenn sie nicht gerade an besonders geschützten Orten stehen; zerwellt sind sie dann oft.

Aber Warlam sammelte, unermüdet. Gefüllt war sein Haus, die Zimmer, die Gänge … Schränke, Teile von Schränken, Türen, Beine, halbe Gehäuse, Rückwände, Zwischenbretter, Holz und Pressspan, Holz und Furnier, gewachsen und geleimt, übereinandergestellt, gestapelt, ineinandergerückt, aneinandergelehnt. Von selbst stehen konnte kaum ein Stück.

„Brennholz …“ entschlüpfte es Roger unbedachterweise.

Warlam machte kleine Augen und sagte durch die Zähne: „Ihr werdet schon sehen, ich werdet schon sehen. Könnt jeder kommen … das ist mein Haus, und ich bestimme, und ich …“

„Gewiss, gewiss“, unterbrach ihn Aslan begütigend. „Groß ist unser Eindruck von deinen Schätzen, doch ist nichts dabei, was unseren Vorräten eben fehlte. Zeig uns Weiteres.“

„Gut“, knurrte der kleine Mann. „Ich will euch zeigen die Dinge, dass ihr staunen sollt. Staunen sollt ihr, denn ich weiß alles, ist alles hier drin.“

Er führte sie einen feuchten, engen Korridor entlang und eine hölzerne Stiege hinauf. Die Stufenbretter knarrten, es war finster, man konnte nicht sehen, wo man hintrat. Ein eigenartiger Geruch herrschte in Warlams Haus, Moder und Sumpfwasser, Kohl und Pilze.

Oben, auf dem Speicher, war es heller, da fehlten im Dach an vielen Stellen die Ziegel, Tageslicht sickerte ein. Warlam oder die Frauen hatten versucht, die Lecks auszubessern, eingekantete Holzstücke, Dachziegel von anderen Häusern, zu klein oder zu groß, sogar eine ganze Bahn Plastikhaut hatte Warlam in der Stadt gefunden. War aber alles Stückwerk, ohne Konsequenz, ohne Ausdauer. Gut, dass der Maître das nicht sieht, dachte Roger.

Warlam, der dünne, unruhige Mann, war stolz, stolz auf seine Schätze. „Hier“, sagte er, „ich zeigs euch, he, kriegt nicht jeder zu sehen. Seht und staunt.“

Aus einer Ecke kramte er hervor ein Bündel, das war schmutzig und raschelte gedämpft. „Na“, sagte er, „wie? ist das was?“

Es handelte sich um den restlichen Teil der Plastikhaut, zusammengerollt und zusammengeknüllt.

„Oh nein“, sagte Aslan mit Abscheu, „das findet sich doch überall besser.“ Das stimmte. Der sonderbare Stoff, in mehr Formen und Farben, als ein Menschenhirn sich ausmalen konnte, war allgegenwärtig. Und nützlich, und allerseits brauchbar, wer wollte das bestreiten. Verwendbar allenthalben, zum Abdecken und Einhüllen, aber gebrechlich auch, es reißt leicht, der Wind trägts fort, Schwitzwasser bildet sich darunter, es atmet nicht, man muss damit umzugehen wissen. Leere Fensterhöhlen mögen damit verklebt werden, wo es an Glas fehlt, Dinge verpackt, der Acker abgedeckt, wenn späte Fröste die zarten Setzlinge bedrohen, Vautrin hat es überall in großer Menge bereitgelegt, offenbar einen großen Bedarf der unbehülflichen Menschen antizipierend, aber welchen? Unerforschlich. Ist wohl eine Geschichte darum, aber weder Roger noch Aslan kannten sie.

Warlam sah die beiden Kaufleute misstrauisch an, sie wollen mich übers Ohr hauen, fühlte er, erst tun sie uninteressiert, dann machen sie mir einen billigen Preis, aber bildet euch nichts ein, ihr kennt Warlam nicht, ist alles hier drinnen.

Er legte das Bündel beiseite, an einen anderen Platz, er hielt keine Ordnung unter seinem Besitz … Roger sah es mit Abneigung.

„Ich zeig euch was anderes“, sagte Warlam und legte den Finger an die Nase. „Ihr habt auch noch nicht alles gesehen, auch wenn ihr so tut, wie? Ihr wisst noch gar nichts, he.“ Und er führte die Besucher in einen engen Winkel, dort lagen zwischen Dachsparren und Seitenwand Geräte und Geschirre angehäuft aus Plastikmasse, knallig rot und grün und braun, wenn auch beschmutzt, verschmiert, verklebt. Erde hing an ihnen, Vogelkot, Morast.

Roger begann ohne weiteres, in dem ungeordneten Haufen zu kramen. „Hm“, murmelte er, „dies hier ist zerbrochen, dies auch, dies hat einen Sprung, hier war der Frost drin, hat es zersprengt, und hier und hier und hier, hier waren die Ratten dran, ist angenagt.“ Ratten sind die einzigen Tiere, die den Stoff fressen, und mit Appetit (nicht nur daran herumkauen aus Langeweile oder zum Spiel, wie die Ziegen oder die Marder), sie können so einen Eimer aus weicher Plastikmasse verzehren bis auf den letzten Krümel, Roger hatte es selbst einmal gesehen, unverständlich.

Was Warlam alles gesammelt hatte! Tassen, Krüge, Eimer, Teller, Schüsseln, Teile von Geräten, Kurbeln Hebel, Griffe, alles unnütz, kaum ein Stück heil. Auch schien er nicht auf die Materialien zu achten, Vautrin hat sehr unterschiedliche Plastikstoffe erschaffen, das weiß jedes Kind, manche sind weich und schmelzen, wenn man sie ans Feuer bringt, an die gehen die Ratten, andere wieder sind hart und spröde, die brechen leicht, splittern wie Glas, und die Splitter sind unvergänglich, Vautrins Städte sind voll davon, lästig ist das oft, nun ja, wer weiß, wozu es gut ist.

Roger hörte auf zu kramen und schüttelte den Kopf. „Nein, Bruder Warlam, wir werden nicht ins Geschäft kommen miteinander, Vautrin will es wohl nicht … nichts unter deinem Besitz, was wir brauchen könnten.“

Warlam knurrte und schaute die beiden Kaufleute enttäuscht an. Dann beugte er sich über den Geschirrstapel und räumte darin herum und zog ein Stück nach dem anderen hervor. „Hier“, sagte er und wies anklagend eine Tasse vor, der der Henkel fehlte, „was wollt ihr, ist doch noch gut, so mancher würde sich die Finger danach lecken, oho, ich weiß das, wie?“

Aslan streckte abwehrend die Hand aus. „Kommt nicht in Frage, Bruder Warlam, wie mein Sohn Roger schon sagte.“ Er sah Warlam scharf an und fuhr fort: „Auf ein Wort, Bruder Warlam, ein Wort unter Männern, unter uns sind wir ja …“

Roger nickte. „Ja“, sagte er zu Warlam, „hör auf das, Bruder Warlam, was mein Vater Aslan dir sagt. Zu raten weiß er gut.“

Bruder Warlam blickte misstrauisch, machte aber keine Einwände.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 27.01.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)