Störungen

… für ein Menschweibchen ist aber die Wirklichkeit kein Maßstab, vielmehr beantwortet das Menschweibchen jeden Hinweis auf die Wirklichkeit mit beleidigten Gefühlen, Problem gelöst. Der Junge, der irgendwie in jeder vorüberschwebenden Weibchengestalt SIE wahrnahm, kam mit solchen Sachlagen nicht zurecht, lebenslang nicht. Die alte Tante wiederholte den Spruch ad nauseam, du bist doch nicht dumm, erklärte sie dem Jungen, fragte ihn aber nicht, was denn sei mit ihm, dass er so hartnäckig seine Hausaufgaben nicht mache. Wäre er gefragt worden, er hätte dann allerdings ganz ernsthaft nicht gewusst, wo anfangen, und hätte womöglich geschwiegen, zumal ihm das Schweigen schon Brauch geworden war, als man ihn todkrank in die frühere Wohnung der alten Tante zurückgebracht hatte, nach seiner ersten Entfernung, und nachdem er dann, da die Tante ihn wieder gesund gepflegt hatte, erneut und erbarmungslos ausgeliefert worden war an die Widersacher, hatte er nicht gefunden, dass es überhaupt noch ein anderes Mittel geben möge der Selbstbewahrung, als das Schweigen. Dass die alte Tante aber nicht ihn selber fragte, was denn mit ihm los sei, sondern sich die Sache vielmehr von ihrer Hexenschwester erklären ließ, setzte nur das Muster, dem der Junge lebenslang begegnen sollte. Die Menschweibchen, wenn sie etwas über ein Männchen wissen wollen, fragen niemals dies Männchen selber, sondern andere Weibchen, vorzugsweise solche, die das betreffende Männchen gar nicht kennen. Der Sinn dieses Vorgehens erschließt sich dem Betrachter nicht. Das befragte Weibchen rät dann gewöhnlich der Fragerin, tu dies und das, dann kriegst du das raus. Dass man über eine Person „was rauskriegen“ könne, indem man sie ganz einfach fragt, erscheint nun wieder dem Menschweibchen als so abwegig, dass ihm diese Möglichkeit nicht einmal in den Sinn kommt. Nur „rausgekriegtes“ Wissen ist gutes Wissen, weiß es im Menschweibchen, und wenn ich den Kerl direkt frage, lügt der sowieso.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 22.01.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)