Die Macht der Mitmacher

Ihr begreift, dass es die Geringfügigkeit der moralischen Entscheidung nicht gibt. Das Menschtier lügt sich mit größtem Eifer ein, die moralische Entscheidung der mächtigen Menschtiere sei ein anderes Ding als die der ohnmächtigen. Das ist wirre Rechtfertigungsphantasie. Ich habe euch schon ausführlich dargelegt, dass es die Mächtigen unter den Menschtieren nicht gibt, das fabuliert sich das Menschtier zusammen, um seiner Verantwortung zu entgehen. Die Macht der Mächtigen beruht allein auf dem Mitmachen der Ohnmächtigen. Machten die Kleinen nicht mit, könnten die Großen lange befehlen, sie wären nicht groß, es würde ihnen einfach nur ins Gesicht gelacht. Der schlimmste Übeltäter unter den Menschtieren ist dennoch gebunden an seine Kräfte, über die kann er nicht hinaus, er mag wohl ein ander Menschwesen totschlagen, aber wenn er deren Tausende töten will, braucht er Mitmacher, die ihm diese Tausende gefesselt zuführen. Es müssen dann auf jeden, der sich wehrt, deren fünfe kommen, die mitmachen. Diese fünf finden sich immer, so geht es zu auf dem Planeten Erde. Werden die fünf hinterher zur Rede gestellt, versichern sie eifrig, ja, wir waren das ja nicht, das war dieser Mächtige, der hat uns das befohlen. Aber dieser Mächtige ist überhaupt nur deshalb mächtig, weil die Mitmacher sich ihm unterwerfen. Aus Angst! rufen sie dann wohl. Das war reine Angst! wir haben Angst gehabt vor diesem Mächtigen! Aber die Wahrheit ist, sie haben nicht Angst gehabt vor dem Mächtigen, sondern vor seinen Mitmachern. Der Tyrann sitzt in seiner Burg, und die ist fern. Wäre er allein angewiesen auf seine Körpermacht, er müsste selbst sich hinunterverfügen ins Dorf und den widerspenstigen Bauern übermachten, und dabei würde ihm niemand helfen, der Bauer könnte wegrennen, oder womöglich würden die anderen Bauern ihm helfen. Doch der Tyrann muss nicht niedersteigen aus seiner Burg, er kann dort sitzenbleiben und die Mitmacher ausschicken, und die Mitmacher sind es, vor denen der Bauer dann Angst hat. Gäbe es keine Mitmacher unter den Menschtieren, gäbe es keine Angst.

Das alles versteht sich von selber, und dennoch lügt das Menschtier die Äonen hindurch, die Mächtigen sind schuld. Mag sein, dass die Mächtigen schuld sind, aber jeder einzelne Mitmacher ist genauso schuld. Es gibt da keinen Unterschied. Der Gebieter, der den Massenmord verfügt, ist schuldig ganz ebenso wie der Mitmacher, der ihn ausführt. Ganz allenfalls könnte man noch sagen, die Schuld des Gebieters ist größer, da er ja weiß, dass sein Geheiß ausgeführt werden wird, dass gemordet werden wird, wenn er die Stimme erhebt, aber mindert das wirklich die Schuld des Mitmachers, der doch nicht mitmachen müsste, der aus freiem Entschluss und in freier Entscheidung sich unterwirft? Keine Macht der Welt rettet das Menschtier aus seiner moralischen Verantwortung. Wenn alle sagen, wir machen da mit, es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als da mitzumachen, der Mächtige will das so – dann lügen sie, denn der Mächtige ist nur mächtig, weil sie Mitmacher sind. Wenn aber jeder einzelne sagt, ich mach da nicht mit, ist die Welt gerettet, so liegt die Rettung der Welt in jedes Einzelnen persönlicher Entscheidung.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 20.01.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)