Der Luchs

Der Luchs lag im Baum und starrte hinunter auf die rumpelnden Wagen, zwischen den Pfoten hielt er die blutige Leiche einer Taube, zerbrochen die Flügel.

Er machte sich lang und schmal und drängte sich gegen den Ast, auf dem er saß: war da Gefahr? Die Pinselohren, reglos nach vorne gerichtet, fingen das Stampfen der Ochsen auf, das Gedröhn der Räder, auch Stimmen. Menschenstimmen.

Vielleicht war es nur ein Spiel, unbedeutend? Der Luchs leckte nervös zweimal über seine Vorderpfote, die raue Zunge gab ein schabendes Geräusch, dann spähte er wieder aufmerksam hinunter, aus grünen Augen. Das Gedröhn rumpelte weiter.

Es hatte wohl nicht zu bedeuten.

Der Luchs blinzelte, schaute ins Leere, wie es Katzen tun, dann wandte er sich dem Vogel zu. Er brach ihn kundig auf, hütete sich, die Federn zu verschlucken. Es war nur eine kleine Mahlzeit.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Abschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 10.01.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)