Die Vetteln 4

… vor allem, woher hat die gewusst, dass sie keinerlei Angst vor mir haben muss? Dass sie sich nach Belieben kann gütlich tun an mir, und ich werde den Blick wenden und einfach gehen? Woher hat die gewusst, wieso war die sich so sicher, dass sie das gefahrlos bringen kann?

Einfach. Zu seiner Zeit auf diesem Kontinent hielten die Weibchen sich für unverwundbar. Ein Männchen, das sich aufführte wie das Purzelchen, wüsste genau, egal wie schwächlich der Gegner aussieht, ich riskiere einen Faustschlag ins Gesicht, und Tritte, und Schlimmeres. Auch eine Messerattacke wäre möglich. Aber die Weibchen? Die konnten öffentlich kreischen und höhnen und spucken, und wussten dabei, vor körperlichem Übergriff waren sie sicher. Frauen wurden nicht geschlagen, daran hielt sich jeder. Sie waren es gewöhnt, alles bringen zu können. Sie liefen gern in Rudeln herum und kreischten gellend und höhnten quer über die Straße, und sie wussten, uns passiert nichts, wir sind Frauen, wir sind unverwundbar. Je öfter sie ihre Übergriffigkeit praktizierten, je öfter sie bestätigt bekamen, wir kommen damit durch, uns kann gar nichts passieren, desto tiefer versteinten sie in ihrer Hohnhaltung. Der Junge sah lebende Geschosse in den Straßen, die verspritzten ihr Hassgift beim bloßen Gehen, es schleuderte aus ihnen heraus wie Wasser aus einem nassen Schwamm. Feistmaschinen, deren Wampensacke in sich den Tatbestand der Übergriffigkeit erfüllte. Das höhnende Purzelchen war auf dem besten Weg zu solch stolzem Ziel. Wieder und wieder würde sie sich ausleben an zufälligen Begegnungen, und nach jeder Erbringung würde sie deutlicher würde sie gewisser fühlen: Mir kann nichts passieren, ich bin eine Frau, mich fasst niemand an.

Vielleicht würde sie eine Tasche werden, und schreiend und spuckend aller Welt versichern, wie Frau bedroht sei in der Männerwelt, ununterbrochen der Drohung durch körperliche Attacken ausgesetzt.

Der Drohung durch körperliche Attacken ausgesetzt waren in der Welt des Jungen vor allem junge Männer. Der Junge nicht mehr, schon nicht mehr, seit er die Schule verlassen hatte. Er war noch immer eine eher schmächtige Erscheinung, aber irgendetwas in seinem Blick sagte, er würde bei Angriffen seine Haut teuer verkaufen.

Konnte eine befreite Frau wie das Purzelchen auf keinen Fall beeindrucken. Der schlägt doch nicht zu, das traut der sich doch gar nicht, ich bin eine Frau. So ein Loser.

Das war im Wesentlichen, was das Rissbild der befreiten Frau, entworfen von den Taschen, mit Farbe und Tiefe erfüllte: die uneingeschränkte Freiheit der neuen Frau zu verbalem Übergriff.

Davon konnten weder das Purzelchen noch der Junge irgendetwas wissen, zur Zeit dieses Vorfalls bei den Kunsthonigtrögen, aber sie erfüllten beide ihre Rollen, das Purzelchen gierig greifend nach der Selbstermächtigung, der Junge achselzuckend sich abwendend, als verhöhnter Mann, der das gefälligst hinzunehmen hatte.

Er nahm es nicht hin, er nahm es zutiefst persönlich, und ihr seht, wie sich im Leben des Menschtiers die Sphären ineinanderweben.

Hier geschieht eben gesellschaftliche Veränderung, wusste es im Taschenhirn wusste es im Mützenhirn.

Laut dieser Denke waren „tradierte Rollenbilder“ aufzubrechen.

Der Junge war kein tradiertes Rollenbild. Er war ein lebendiges Menschwesen aus Fleisch und Blut, umherwandelnd auf zwei Beinen.

Das Purzelchen war kein tradiertes Rollenbild. Sie war ein lebendiges Menschwesen aus Fleisch und Blut, umherwandelnd auf zwei Beinen.

Das Purzelchen lebte seine schmutzigsten Instinkte aus und fühlte sich prächtig dabei. Und vor allem im Recht.

Der Junge fühlte sich verletzt bis ins Mark.

Hätte er in späteren Jahren in Taschenkreisen von dieser Verletztheit erzählt, es wäre des Höhnens kein Ende gewesen.

So ein Waschlappen!

Und sie würden lachen.

Lachende Frauen, immerfort lachend.

Haha-hahaha.

Das kannte der Junge.

Kreischende Frauen.

Haha-hahaha!

Entmenschte Vetteln, keiner Rücksicht keiner Menschlichkeit mehr fähig noch willens.

Kannte der Junge.

Haha-hahaha!

Schreiende Vetteln, predigend von allen Dächern von der Unterdrücktheit der Frauen, und wie Frau sich wehren müsste.

Kannte der Junge.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Abschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 09.01.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)