Liebe am Fluss

Michael Klagenfurt hinkte hinüber zum Fluss, du, Bruder, Geliebter, sanft sangen die Sirenen der Lastkähne, Sonnenglast erzitterte ihrem Gesang, über den Kiesbänken geflochten aus Weiße.

Quollen die Büsche wie sprudelndes Wasser, Farngetümmel. Oh ihr Bäume, ihr starken Gehilfen des Mittags, verlasst nicht die Zeit.

Michael Klagenfurt trat ans Ufer, vor seinem Blick brannten die Blendungen der Wellen, er blinzelte glücklich, fand eine Bank, dort ließ er sich nieder.

Ein kühler Wind kam gestrichen übers Wasser, voller Schatten aus den Glasgewölben der Flut, aus den Spiegelsälen, aus den Echos der Kristallhallen.

Flussbagger unter dem jenseitigen Ufer, Raupe aus schwarzer Tinte, schob sich über den Silberteich. Hob und senkte ihre Schaufeln, schnoberte über dem Wasser, prüfte und kroch.

Kleine Raupe auf silbergrünem Kohlblatt.

Über den Weidenschöpfen drüben aber die Türme der Stadt.

Michael Klagenfurt schloss die Augen, ließ den Fluss fließen durch seinen Kopf, Wolkenstrom.

Ein Federwölkchen glitt unter die Sonne, der Schatten segelte dahin über die Ufer, fort, fort.

Michael Klagenfurt wartete.

Sie würde kommen, er wusste es. Würde kommen vielleicht ein wenig später. Er musste nur sitzen und warten und den Wellen lauschen, die Wellen würden sie herbeitragen, sie, meine Seligkeit, meine Geliebte.

Seit Wochen liebte er sie, seit Monaten, seit einem Leben. Begegnungen von Schatten zu Schatten auf einem gekiesten Flussuferweg. Du bist mein Traum, du bist meine Erfüllung, es gibt kein Leben außer dir.

Sie kam
schmale Gestalt mit verschlossenen Bewegungen
ernsthaftes Puppengesicht
hellgraue Augen, hellgraues Kostüm.
Gefältelt die Seidenbluse über den zarten Brüsten
kalkblaue Brosche an goldenem Kettchen
breitrandiger Hut mit hellem Blumengesteck
ohne Schleier.
Schob einen hochrädrigen Kinderwagen vor sich her.
Schaute geradeaus
auf den Weg
nicht auf den Fluss
sie träumte von fernen Dingen.

War Kindermädchen. Vielleicht Engländerin (der Schnitt ihrer Kleidung ließ das vermuten).

Und Michael Klagenfurt ließ sie vorübergehen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, ihm wurde übel vor Angst, ich liebe dich, du wirst mich zurückweisen.

Sie ging vorüber, und da war kein Wort.

Wir beide werden dann im Tanz uns wiegen
und schließlich fernerwärts und abschiedslos entfliegen.

Die kleine Raupe am jenseitigen Ufer verfolgte ernsthaft ihren Weg, auf dem silberblauen Kohlblatt.

Michael Klagenfurt biss die Zähne zusammen, da ging es dahin, sein Leben, wohl konnte er es sehen, war ihm unerreichbar.

Ging dahin, mit gemessenem, zusammengenommenem Schritt, die grauen Augen sinnend zu Boden gerichtet, ernsthaft das schmale Puppengesicht, ging dahin, entschwand.

Wohnte auf der Parkinsel, wo die reichen Leute ihre Häuser haben.

Reichtum? Nein, das war es nicht.

Alles ist vorherbestimmt.

Du bist verurteilt, Michael Klagenfurt, armer Junge, du bist verurteilt.

Die Zukunft bietet eine gute Gelegenheit, die Vergangenheit noch einmal zu erleben.

Das graue Kleid tanzte durch seine Gedanken, als er heimging.

Der Nachmittag schlenderte davon, schaute sich lächelnd um.

Unter die Ginsterbüsche hatte er geworfen die Glut des Mittags, die rollte sich dort zusammen katzenkrallenweich, schlief ein auf dem Schoß des Abends.

Abend, Geliebter.

Mit blassen Händen kraulte der das Fell der Träume.

Und alle Gärten rochen nach Erdbeeren mit Milch.

(Dies schrieb Peter von Mundenheim in „Elegie auf den Tod eines Dichters“, Druckausgabe Seite 27-30, erhältlich bei amazon oder im Buchhandel, dieser Ausschnitt nachgedruckt auf dieser Seite 26.12.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)