Unwissenheit

Die Katastrophen des Menschtieres resultieren eigentlich nie aus seiner Unwissenheit, sie resultieren aus seinen eingebildeten Wissereien. Die Menschtiere fangen nicht an, sich die Schädel einzuschlagen über Dinge, die sie nicht wissen. Vielmehr verbeißen sie sich ineinander über Dinge, die sie ganz sicher zu wissen meinen.

Praktisch immer sind diese Gewissheiten Irrtümer, und die in den Massengräbern liegen, die sind für nichts gestorben.

Aber das ist nicht das letzte Wort. Das letzte Wort spricht SIE, und wenn wir eine Gewissheit haben dürfen, so die, dass in dem Leben eines jeden IHRER Geschöpfe Sinn waltet. Ich sagte ja schon, IHRE Welt ist mit Sinn so überfüllt, dass Sinn herauskracht zu den Fugen aller Geschaffenheiten, wie Wasser herausdrängt aus den Fugen eines undichten Fasses. Zu begreifen, welchen Sinn dieser Sinn denn nun habe, das ist dem Geschöpf ganz unmöglich. Es soll, es muss dem Geschöpf genügen zu wissen, Sinn ist. Wie könnte sich das Menschtier doch beruhigen bei dieser Einsicht! Alles Geschehen ist durchwaltet von Sinn, wir sind ganz außerstande, diesen Sinn zu begreifen, aber das macht ja nichts, Hauptsache ist doch, Sinn ist! Ja mehr noch, was wäre denn ein Sinn, den wir begreifen könnten? Nur ein begrenzter Sinn, nur ein enger. Der Sinn in IHRER Welt aber ist unbegrenzt, seine Weite geht gegen unendlich, deshalb können wir seiner ja nicht habhaft werden, der Sinn des Sinnes entzieht sich uns, wie sich uns die Horizonte entziehen, je näher wir ihnen kommen, desto weiter wird die Welt! Können wir unser Glück denn fassen, dass niemals an ein Ende kommt die schöne Welt?

Bekennte das Menschtier sich solcherart zu seiner Unwissenheit, es käme gar nicht auf den Gedanken, die Schädelkalotten von seinesgleichen mit dem Knüttel zu bearbeiten. Bekennte es sich erst zu der Einsicht, dass die Unwissenheit sein bestes Erbteil ist, und dass es die Unwissenheit ist, die unter allen Umständen gewahrt und geschützt werden muss, welch ein Leben könnte es haben auf dem Planeten Erde!

Es drängt das Menschtier nach Wissen, das ist aller Ehren wert, aber größer noch sollte sein Drang sein, seine Unwissenheit zu lieben. Alles Wissen verdankt seinen Ursprung dem Wissen um die eigene Unwissenheit. Ein Wesen, das seiner Unwissenheit nicht inne wird, schreitet nicht fort zum Wissen. Es fängt gar nicht erst an zu suchen. Wer nicht fühlt, hier ist eine Frage, sucht nicht nach Antwort. Schlimmer, er wird mit Antworten beikommen, wo niemals Fragen waren. Dem Menschtier widerstrebt es, irgendeine Dummheit auszulassen, da wird es gründlich, und besonders gern gibt es Antworten, wo schon die Fragen keinen Sinn haben. Es stellt die Frage, warum Liebe?, und wird alsogleich hektisch und findet tausend Antworten, wo doch eine schon zuviel wäre, denn es gehört zum Wesen der Liebe, dass sie zwar tausend Warums setzt, selber aber in keinem gründet. So verfährt das Menschtier mit allen Ursprünglichkeiten, es versucht noch, selbst IHR Gründe und Bedingungen zu imputieren, und ist dabei so lächerlich in seiner zusammengewürfelten Beliebigkeit, es hockt da auf seinem Planeten Erde und redet über SIE und bildet sich im Ernst ein, es sei da kompetent, und wüsste was.

Arme Tröpfe. Wie groß könnten sie sein, wenn froh sie sagten, wir wissen nichts, wir haben keine Ahnung, das macht uns groß, erst das.

Aber das sagt das Menschtier nicht. Das Menschtier ist das Wesen, das alleweil was weiß. Egal, was ihm widerfährt, das Menschtier weiß was.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, diese Passage veröffentlicht hier 19.12.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)