Die Holzbrücke knarrte gefährlich, dunkelbraun waren ihre Balken, feucht und glitschig, von Moosen und Algen bewohnt; drunten murmelte leise der Fluss.
„Unsicher scheint mir der Weg zu sein …“ sagte Grand Mère, halb fragend.
„Ach“, antwortete Erlanda, die voranging, „hab keine Angst, sie hält uns aus.“
Grand Mère schaute zweifelnd, sagte aber nichts, sie hielt sich am Geländer fest, fühlte, wie nass und porös das Holz war. Die beiden Frauen mussten hintereinander gehen, die Brücke war schmal, und selbst für sich alleine hatte Erlanda alle Mühe … wie dick sie war, wie dick! Sie wuchtete sich schnaufend voran, die Hand übers Geländer schiebend, Bewegung ist Arbeit.
„Drüben ist eine Bank!“ rief Erlanda und pustete. „Dort setzen wir uns hin und verschnaufen, du und ich, und dann reden wir.“
„So machen wir’s“, entgegnete Grand Mère.
Die Bank stand auf der jenseitigen, erhöhten Uferböschung, unter der Kuppel einer Trauerweide, die senkte ihre grünen Haare bis in den Fluss hinein. Weiter entfernt lag der sacht ansteigende Gemüsegarten, vom Lattenzaun begrenzt; bis hierher kletterte der Fluss auch zur Hochwasserzeit nie.
Die beiden Frauen ächzten nieder auf die Bank, lehnten sich nieder gegen den Weidenstamm. Erlanda schwitzte und rang um Atem.
„Wie heiß es ist“, pustete sie. „Vautrin meint es gut mit uns.“
Grand Mère wiegte den Kopf. „Aber schwül ist‘s auch, das Wetter wird bald umschlagen, Regen wird kommen, das wär kein Schaden …“
„Jaja“, sagte Erlanda. Sie zog aus ihrer breiten Bauchschärpe ein Tuch und wischte sich Gesicht und Hals. „Ach, es ist ein Elend“, stöhnte sie, „wenn man so eine Last hat und sich so schwer rühren kann …“
„Vautrin hat‘s gegeben“, sagte Grand Mère und stieß sie mit dem Ellbogen in die Seite. „Wenigstens ist an uns was dran, oder?“
„Haha“, lachte Erlanda, „uns übersieht keiner, das ist wahr, Vautrin hat‘s gegeben, haha.“
„Bei uns sieht man, wo das gute Essen hingeht, nicht wahr, das geht hin, wo‘s hinsoll …“
„… und nicht gleich zur Ofenklappe wieder raus, so ist es, bei Vautrin“, lachte Erlanda, huh …“ Und sie wischte sich erneut das Gesicht.
Grand Mère sah durch den dunklen Weidenvorhang hinunter auf den murmelnden Fluss. Sachte flossen die Algenhaare in der Strömung, unter den besonnten Uferrändern schwammen dichte Wälder von Wasserpest. Auf der anderen Seite lag angepflockt Warlams Kahn.
„Dicht und ungestüm wachsen bei euch die Weiden“, sagte Grand Mère halblaut. „Ehre ist ihnen zu erweisen. Reden wir von ihnen …“
„Ja“, antwortete Erlanda, „reden wir von ihnen … mit Ehre und Zuspruch …“
Und die beiden Frauen rückten näher zusammen, Erlanda hängte sich ein in Grand Mères Arm, sie spürten, wie die Trauerweide enger sich zusammenwölbte über ihnen und lauschte.
„Es liegt am Wasser …“ begann Erlanda.
„Ja, am Wasser“, murmelte Grand Mère, „sie lieben das Wasser …“
„… sie ziehen ihre Kraft daraus …“
„… Wachstum wird, unergründlich, vielgestaltig, Vautrin allein sieht es, Vautrin allein weiß es, wie die Ruten sprossen und grünen, tausendfach, ohne Zahl, überm Wasser, überm Wasser …“
„Es liegt am Wasser …“
„Am Wasser. Fließen lässt es Vautrin, eindringen in die fernsten Winkel, die geheimsten, wachsen macht es und vergehen, fruchtbar werden und verdorren, es nährt die Sonne und kehrt zurück auf die Erde, in den Pflanzen steigts und in den Menschen, es heilt die Gebrechen und schleicht im Nebel, es nährt und es tötet, es fließt in den Dingen, unergründlich.“
„Das ist der Regengeist, umher aus Nässe schleicht er in den Regenfahnen, es klatscht sein Schritt …“
„… und der Taugeist, heimlich wälzt er sich in den Wiesen, vor Morgen …“
„… und der Nebelgeist, geheim ist sein Anblick vor den Menschen, gewoben aus Weiße …“
„… und die Flussgeschöpfe, zur Nacht steigen sie heraus, schauen sich um in den Gehöften der Menschen …“
„… dass ihre Fußstapfen zurückbleiben, des Morgens, als Pfützen …“
„… und die Nixen, in geheimen Tümpeln des Waldes, wer mag sie berühren …“
„… es liegt am Wasser …“
„… am Wasser.“
„Am Wasser.“
Die Weide lauschte.
„Denk, sagte Grand Mère, unerschöpflich ist der Nutzen der Weiden.“
„Unerschöpflich. Ehre sei ihnen.“
„Ehre sei ihnen. Erzähl mir davon.“
Erlanda legte den Arm um Grand Mères Nacken, zog sie dicht an sich heran und murmelte: „Geheimsten Zauber vermögen sie zu lösen, Krankheit schwer, ruhig steht das Geäst. Da sind die Leiden, da ist die Pein, die nehmen die Weiden, die nehmen die Weiden, da gehen die ein. Vielgestalt ist der Schmerz, ist alles nur Scherz, bläst ein Wind, das Wasserkind, hinein in die Weiden, die mögen‘s wohl leiden, das Wasserkind, geschwind geschwind. Am dunklen Ort, zur Mitternacht, du find‘st das Wort, eh noch gedacht, das wissen die Weiden, sie sagen‘s uns beiden. Da ist die Pein, huhweh, ein Stein, die Galle, die Niere, es packt die Tiere, und Frau und Mann, wers tragen kann. Da nimmst den Kranken, darfst nicht wanken, zur Mitternacht, gehst sacht, hinein zu den Weiden, vom Übel zu scheiden. Und sprechet kein Wort am dämmrigen Ort. Und soll sich entkleiden zwischen den Weiden das kranke Wesen, von Schmerz zu genesen. Ganz nackt muss er sein, sonst geht nicht der Stein. Er dreh sich im Kreise, auf langsame Weise, der Male drei, so wird er frei. Und während er dreht, im Weidenbeet, da sprichst am Orte diese Worte:
‚Drehe drehe böses Leiden,
wirst nun fahren in die Weiden,
hat Vautrin dich hingemacht,
wirst von ihm nun weggelacht.
Husch du Stein, ins Holz nein!
Drehe drehe böses Leiden,
bist gefahren in die Weiden.‘
Und gesund ist zur Stund, wer das macht wie gedacht.“
„Gewaltig, wahrlich, sind die Wunder Vautrins“, murmelte Grand Mère und richtete sich auf, da Erlanda ihren Hals losließ, „und gewaltig sind die Schätze deines Wissens. Lass dir erzählen, was sich begab unter den Weiden, an fernem Ort, doch kann ich‘s mit Wahrheit melden.“
(Peter von Mundenheim, Ausschnitt aus einem unveröffentlichten Manuskript, diese Passage veröffentlicht auf dieser Seite 09.12.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)