Schräger Humor, weiter

Bei allen Meisterdenkern der kritischen Überlegenheit offenbarte sich unter den gezwirbelten Wortschwällen eine so groteske Hohlheit, dass der Junge sich fragte – ernsthaft, wie es seine Art war, worüber die kritisch Überlegenen nur lachen konnten – wieso die Worte sich zu so etwas hergaben. Er wusste aus Erfahrung, dass die Worte machen was sie wollen. Sie lassen nicht alles mit sich machen. Warum machen die da mit?

Ihm dämmerte, dass es da Unterschiede gab. Unterschiede zwischen Worten und Schällen. Imitation. Mimikry. Das Posengebeutel verlangte, der Hörer habe sich bei den Schällen, ihm von einem kritenden Denker ins Gesicht geschleudert, schwer was zu denken. Worte, bei denen man sich erst was denken muss, sind das noch Worte?

Der Junge hatte es selber mit dem Denken, wo nicht gar mit dem Grübeln. So dachte er: Das ist ein blöder Einfall. Man muss sich bei den Worten was denken was denken können. Sonst herrscht doch bloß Gequassel?

Die Wortschälle, also die imitierten die imitierenden Worte der kritenden Meisterdenker waren ganz ohne Zweifel Gequassel.

Müsste man methodisch angehen, grübelte es im Jungen. Die Worte sind Inbegrifflichkeiten. Jeweils einer weiten Welt von Bezüglichkeiten. Die Worte sagen, worum es geht. Die Worte gehen wieder fort und lassen sich selber als Merkzeichen zurück. So kannst du zurückgehen und die Inbegrifflichkeit ausfalten, in beliebiger Ausführlichkeit. Irgendwie schwierig. Erinnert an das kapriziöse Verhalten der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit eilt dem Betrachter davon. Er hat keine große Aussicht, sie jemals einzuholen. Er kann sie betrachten und sie zu verstehen suchen, aber was er betrachtet und versteht, ist nur seine erinnernde Fixierung. Vielleicht versteht er die irgendwann. Wenn aber dies Irgendwann eintritt, ist die Wirklichkeit schon längst wieder über alle Berge, vor allem über die Blauen Berge am Horizont, diese ewigen blauenden Berge. Siehst du sie? Weißt nicht einmal, sind das Berge, oder nicht doch Wolken über der Ebene? Egal. Hinterher.

Irgendwo war da diese zarte wehrlose Nackte, die du sofort in die Arme nehmen und beschützen willst. Die Wahrheit. Die lässt sich gerne streicheln und herzen und küssen von dir, denn sie ist zart und wehrlos und schutzbedürftig. Nachher spielt sie dir jeden Schabernack, dessen du dich nie versehen hättest. Ist ihr Merkmal. Die Wahrheit spielt den Menschtieren Streiche, und kommt und geht, wie es ihr gefällt, und niemals taucht sie auf, wo du sie erwartest.

Das erinnert in der Tat stark an das Verhalten der Worte. Auch die Worte kannst du verstehen. Aber wenn du sie verstanden hast, siehst du: du hältst nur eine leere Larve in den Fingern. Der verpuppte Schmetterling, der darinnen war, ist längst ausgeflogen und über alle Berge. Renn! Beeil dich! Kannst ihn noch einholen! Ob du ihn dann auch einfangen kannst, ist eine andere Frage. Wohl eher nicht. Mancher hat die Wirklichkeit vielleicht eingeholt, eingefangen hat sie noch keiner.

So mag mancher die Worte einholen. Aber hat schon mal einer ein Wort eingefangen, ein einziges? Wohl eher nicht. Am nächsten den Worten kommen die, die ihnen hinterhertanzen, auf den Sonnenwiesen, wie die Kinder, Blick geheftet auf das buntstaubige Gaukelspiel.

Die kritischen Hinterfrager hantierten mit den Worten wie mit den Münzen, die sie kassierten. Wofür kassierten die eigentlich? Für nichts. Aber die Kasse war real, und das Jonglieren auch. Nötigte die Dummen zu gaffem Beifall. Wie die umgehen können mit den Worten! Muss doch was dahinterstecken! Es steckte nichts dahinter, und es waren auch keine Worte, mit denen sie Fangball spielten. Das sind bloß Wortattrappen, dachte der Junge. Deshalb hüpfen die auch so bereitwillig auf jeden Wink der Gauklerhand. Sie haben gar keinen Willen, können keinen haben.

Der Eigensinn der wirklichen Wörter aber, der erinnert stark an das Gehabe der Wahrheit. Auch die Wahrheit ist der Argumentation nicht zugänglich. Wie die Wörter ist sie plötzlich da. Stellt sich dir in den Weg. Du musst sie sehen hinnehmen akzeptieren, ob dir das gefällt oder nicht. Sie kann aufdringlich werden, zart und nackt und wehrlos, wie sie ist. Drängt sich auf.

Manchmal sind da Sätze, von denen willst du nichts wissen. Willst unter keinen Umständen was wissen von denen. Sie sind trotzdem da, gehen nicht weg, drängen sich auf. Sind wahrscheinlich wahr.

Ah!

Vielleicht unterscheidet das die Worte von den Wortattrappen. Mit den Wortattrappen kann jeder Schwindler jonglieren. Die Attrappen lassen alles mit sich machen, sie haben keinen Willen kein Wissen kein Bewusstsein. Kennen keinen Widerstand. Die wirklichen Worte aber, die sind plötzlich da, ihre Gegenwart komme dir gelegen oder nicht. Sie drängen sich auf, stellen sich dir in den Weg. Du kannst sie nicht umgehen, so wie du die Wahrheit nicht umgehen kannst, wenn sie sich dir in den Weg stellt. Die Worte sind mutwillig und spielen dir jeden Schabernack, dessen du dich nie versehen hättest.

Sieht irgendwie aus, als wären die Worte und die Wahrheit Geschwister. Kinder derselben Mutter? Derselbe schräge Sinn für Humor, oder Sinn für schrägen Humor, schwer zu unterscheiden.

IHR schräger Humor, offensichtlich.

(Peter von Mundenheim, weiter im gleichen Manuskript wie zuvor, dieser Ausschnitt veröffentlicht 06.12.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)