Schräger Humor

… so blöd nun aber, freiwillig den Segen der Neuen Warenwelt dahinzuwerfen, waren sie nun auch wieder nicht. Nein, sie schafften den Spagat: sie schöpften mit vollen Händen die Wohltaten der Warenwelt, was mit vollen Händen! sie nutzten Schöpfkellen und Eimer und was immer sich bot, um nur keine der Kostbarkeiten zu versäumen, und sie hatten gleichzeitig eine Mütze auf dem Kopf. Beachtet: gleichzeitig. In kunstvoller Torsion sicherten sie sich Teilhabe zugleich mit überlegener Kritik. Sie machten mit, und standen abseits. Sie standen an der Spitze der Schlange, wenn irgendwo eine Wohltat verteilt wurde, und kommentierten die Wohltat kritisch.

Das war das Ding. Sie waren dabei, ja, aber sie hinterfrugen kritisch.

Dieses Kritische Hinterfragen war ihr Königsweg zu überlegenem Menschtum. Die Stiefel hatten sich Angehörige einer überlegenen Rasse gewusst. Die Mützen aber waren die Überlegenen Denker. Sie hinterfrugen kritisch. Sie schwollen vor Kritik. Mit der linken Hand. Mit der rechten griffen sie sich die Waren, gegen die sie predigten.

Diese spezifische Überlegenheit bedingte auch eine Änderung des Stimmregisters. Die Stiefel waren dumpf gewesen, ihre Tonlage hatte sich gern in die Dröhnung des Heiligen Ernstes geweitet. Sie konnten basse Schütterung einerseits, und schrille Hassfistel andererseits. Bass und Falsett, das waren ihre Register. Noch in der gewohnheitsmäßigen Hundswut der Gescheiterten pflegte dieser Heilige Ernst zu wettern. War ihnen Inbegriff menschheitlicher Steilheit, in diesem Ton fühlten sie die Gipfel unter sich. Bis in ihr hohes Alter hinauf, die Stiefelherrschaft seit Jahrzehnten dahingegangen, mochten sie vom Heiligen Dröhnton nicht lassen. Die warenverbrauchenden Mützen jedoch, die pflegten, ganz organisch, die Tonlage der überlegenen Ironie. Locker oder schneidend, wie es gewünscht wurde. Perfekt saß ihnen der artikulierende Tenor in der Kehle, nie schwankend, nie zitternd, immer am rechten Ort. Ja, sie waren überlegen. Nicht selten so überlegen, dass ihnen das Mitleid mit dem Gegner aus den Poren triefte. Überlegenes, fast mütterliches fast väterliches Mitleid. Mitleid vor der Vernichtung. Ja, die ironische Überlegenheit, das war ihr Ding. In dumpfer Virtuosität, oder virtuoser Dumpfheit, wie ihr wollt, beherrschten sie alle Abwandlungen. Kühle Ironie. Überlegene Ironie. Grinsende Ironie.

Dies vor allem. Grinsende Ironie. Das Grinsen war ihr Ding. Die Stiefel hatten nur selten gegrinst, und wenn, dann verstohlen. Ihr Markenzeichen war vielmehr das verständnisinnige Lächeln gewesen. Das warfen sie sich gegenseitig zu, wenn sie riefen: Wir waren nicht dabei! Wir haben nichts davon gewusst! Ja. Wenn sie das sagten, lächelten sie sich gegenseitig zu, ganz kurz nur, aus den Augenwinkeln sozusagen. Wir verstehen uns, sagte das Lächeln.

Das Pendant bei den Mützen war die lässige Ironie. Die lässige Ironie eroberte ganz neue Gebreite dem Herrschaftswillen. Es ist ein Zeichen von Dummheit, wusste die lässige Ironie, überhaupt etwas ernst zu nehmen. Ja, im Ernstnehmen offenbart sich der Dumme. Der Dumpfe. Der Schlaue, der lässig Ironische, der denkt zu allem auch immer gleich das Gegenteil. Das ist eben die Ironie! Das verstehen nur die Schlauen, und daran erkennen sie sich! Und erkennen eben auch die Dumpfen, die das Gegenteil nicht mitzudenken vermögen.

Umstandslos war mit der Ironie Schluss, wenn es etwa ans Bankkonto ging. Sie verachteten den Staat, der der neuen Warenwelt Schutz und Gerüst gab, kamen aber bei eben diesem Staat gerne unter, sein Geld nehmend und ihn kritisch hinterfragend. Das Staatsgeld, das sie nahmen, hatte der Staat selber vorher dem Warenkreislauf entnommen. Blieb ihm ja nichts anderes übrig, denn das Kritische Hinterfragen schuf keine Werte, die sich hätten verzinsen lassen. In alten Zeiten, vor den Geburten des Jungen, war in seinem Land über die abhängigen Schlaumeier anzüglich gesagt worden: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Für die bemützten Schlaumeier galt: Wes Geld ich nehm, den hinterfrag ich kritisch. Sie brachten es darin zu ungeahnter Virtuosität, wie denn das Menschtier stets zu peinlicher Hochform aufläuft, wenn es um die Exekution von Niedertracht geht. Dem Lederflügligen hier raffinierte Winkelzüge zu unterstellen, ginge am Kern der Sache völlig vorbei. Hier war nicht brillante Täuschung am Werke, sondern die gute alte ordinäre Lüge. Nur die einfache, simpel gestrickte, primitive Lüge vermag solchen Erfolg zu haben. Die bemützten Schlaumeier eroberten sich die öffentliche Rede. Eroberten die Lehrstühle die Zeitungsredaktionen. Die bodenlose Inkompetenz der Pferdeschnauzigen war keine Ausnahme, in ihrem Gewerbe nicht, nicht anderswo. Kompetenz war nichts mehr, womit man noch hätte punkten können. Die Bereitschaft zu nackter offensichtlicher dummdreister Lüge war gefragt. Zu schöpfen mit vollen Händen aus der Warenwelt, und diese Warenwelt gleichzeitig anzuklagen als Totengräber des Planeten – das war das Ding. Der Ton ironischer Überlegenheit sprach dabei: Wir sind die ersten, die um die Probleme wissen. Wissen um die Widersprüche! Oh über unser Wissen um die Widersprüche! Wissen um die Probleme! Wissen in einer Höhe und Tiefe und einer Breite, die erkennen die dummen Ernsten gar nicht. Das ist denen gar nicht zugänglich! Die ahnen diese Ebenen nicht einmal! Die bekommen das gar nicht erst in den Blick! Aber wir! Das ist eben unsere Höhe! Unsere Tiefe! Unsere Breite! Unsere kritische Überlegenheit! Unser KaBumm! Wie wir die Widersprüche aushalten! Wie wir die Widersprüche von vornherein gleich mitdenken! Wenn uns einer widerspricht, da haben wir das ja immer schon mitbedacht, der langweilt uns doch bloß! Wenn wir einem zuhören sollen, muss der spannend sein! Ein spannender Denker! Sonst hören wir da gar nicht erst hin! Weil wir das immer schon vorweg wissen, ob einer spannend ist oder nicht! Das sehen wir, das haben wir immer schon mitbedacht.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, nun ja, ihr kennt das mittlerweile, diese Passage veröffentlicht 05.12.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)