Taylor

Die geschwinde Schneiderin hat ein neues Werk auf den Markt gebracht, und das Datum im Kalender hat sich ganz von selbst eingekringelt.

Die Welt ist oft genug gruselig, aber Taylor ist ein Lichtblick darin, wenn nicht sie, wer dann. Es gibt Wesen, deren bloße Existenz streut Glanz über die Gelände. Sie sind lebender Beweis, für was? kann man nicht einmal genau sagen, dass Sinn ist hinter der Welt, vermutlich, und da und dort kracht der Sinn herein in die Gelände der Lebenden, ohne lang nach Voraussetzungen zu fragen, und schon gar nicht nach Bedingungen. Wir kennen das alle. Licht leuchtet plötzlich auf, und wir gucken hin. Man sieht hier ja nicht die Hand vor Augen, beschweren wir uns und tasten und greifen, und siehe, da leuchtet dieses Licht auf, und natürlich gucken wir alle hin. In der Finsternis guckt man immer, wenn Licht aufglimmt, das Licht hat weit offene Augen und sagt mit etwas kindlicher Stimme, hi, I‘m Taylor Swift, und jetzt ist sie eben da, mitten unter uns.

Wir lieben sie, natürlich tun wir das. Es gibt keine Begründung dafür, dass sie plötzlich da ist, und also braucht es auch keine Begründung, warum wir sie lieben. Ihr Dasein und unsere Zuneigung zu ihr, das sind Dinge, die kommen aus dem Ursprung, die haben nur eine Begründung, und die lautet, SIE will das so.

Keine Frage, wir könnten tausend Gründe anführen, warum wir von Taylor so entzückt sind. Seit, nun seit Carole King hat Amerika eine solche Songwriterin nicht gesehen, oder so. Ihre Lyrik! zarte alltägliche Worte, die falten sich auf in Millionen Bedeutungen. Ihre Melodien! keine eigentlich ein Ohrwurm, aber du sitzt da, und plötzlich liegt dir diese Melodie im Schoß wie eine fest eingeschlafene Katze, du spürst die Wärme und das leichte Gewicht und du weißt, du sitzt hier erstmal fest, denn das Tierchen aufzuwecken, das kommt nun wirklich nicht in Frage. So könnte man weitermachen mit den Begründungen, aber im Grunde unseres Herzens wissen wir alle, die Begründungen sind nachgeschoben. Sie kommen der Liebe hinterher gehoppelt, weil man doch so gern lobende und schöne und selige Worte sagen will!

Die Begründungen stellen sich allerdings auch ein, wenn die Mauler und Besserwisser auftreten. Die sind ärgerlich, und eigentlich sollte man sich auf die Ansage beschränken, redet ihr nur, nur immer redet.

Denn reden, das tun die Besserwisser. Sie wissen tausend Gründe, warum man Taylor auf keinen Fall lieben dürfe. Nicht so prickelnd, die, wissen sie. Auch ihre Gründe sind nachgeschoben, sie sollen die Leere füllen, die in ihnen gähnt. Abwesenheit von Liebe, Liebe zu irgendwas, bitte!

Das neue Album ist die Neuaufnahme eines alten, und beigefügt sind ein Halbdutzend Songs, die hatten in die Erstveröffentlichung nicht mehr reingedurft, und warteten seither auf ihre Stunde, die ist jetzt da.

Mein Herz tat einige Hüpfer beim Hören, und ich hab gedacht, warum hat sie damals ausgerechnet diese Songs weggelassen? Das sind doch die besten!

Die Produzenten wollten das damals so, das war zu einer Zeit, da konnten sie der geschwinden Schneiderin noch reinreden.

Vermutlich hat sie damals die Produzenten angesehen aus ihren weit offenen Augen, und gesagt, wenn ihr das so für richtig haltet?!

Taylor nimmt die Menschen ernst, es bedrückt sie, wenn sie nicht gemocht wird, was nicht heißt, dass sie jemals eine Silbe eine Note ändern würde, nur um zu gefallen, sie würde dann lieber leiden, als sich zu verbiegen, aber leiden würde sie.

Die Besserwisser leiden nicht, sie machen leiden. Sie fühlen sich groß und urteilen. Ihre Urteile sind einfach und endgültig. Hahaha! lautet ihr Urteil, und wenn sie um Präzisierung gebeten werden, fügen sie erläuternd hinzu: Haha-hahaha!

Sie fühlen sich auch der geschwinden Schneiderin überlegen, ernsthaft, denn ihrer ist ja das Urteil, und wer urteilt, ist mehr als der, der macht. Der arme Macher unterbreitet demütig sein Werk der Welt, den Urteilern zur Beurteilung, und die urteilen dann, haha-hahaha! wissen sie, oder auch nur, hahaha!, denn ihre Verurteilung, so fühlen sie, braucht keine Begründung, die versteht sich von selbst.

Das ist doch seltsam. Taylor ist Genius, und sie achtet die Menschen und nimmt ihr Urteil ernst. Die Urteiler sind Nullen, und sie nehmen niemanden ernst. Die nichts zustande bringen, fühlen sich berufen, den ganzen Kosmos zu beurteilen. Der ganze Kosmos Rohvorlage für unsere Urteilsmacht! Die aber Licht hineinbringen in die Finsternis der Welt, die fürchten sich vor dem Urteil der Urteiler. Was stimmt da nicht?

Wie gesagt, die meisten Menschen lieben Taylor. Sie fühlen, Taylor ist da, die Welt ist ein besserer Ort. Sie fühlen, mir geht es gar nicht gut, ich bin nicht wirklich der Rede wert, ich hab kein tolles Leben, aber ab und zu kommt ein neues Album von Taylor raus, und mein Tag ist gerettet.

Taylor Swift ist Genius, und sie denkt, dass jeder Mensch der Rede wert ist. Sie liebt die Menschen und will selber gern geliebt werden.

Die Besserwisser sind Nullen, sie könnten nicht eine von Taylors Noten schreiben, nicht eine ihrer Silben, sie lieben niemanden, und jeder fürchtet sie.

Was stimmt da nicht? Denn dass da was nicht stimmt, das ist doch offensichtlich.

Könnte irgendwas mit IHREM schrägen Humor zu tun haben, da müssen wir durch, so hat SIE eben IHRE Welt eingerichtet, und da müssen wir uns nach der Decke strecken, denn SIE hat das Sagen.

(Für diese Seite geschrieben von Peter von Mundenheim, veröffentlicht am 14.11.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)