Huren

Seit das Menschtier den Planeten Erde bewohnt, hat es Weibchen gegeben, die haben aus dem Gewähren des Beischlafs ihren Lebensunterhalt gezogen. Nein, ich meine nicht die Institution der Ehe. Ich rede von den Weibchen, die sich von jedem des Weges kommenden Männchen bezahlen lassen. Von Prostituierten. Huren. Nutten.

Das Weibchengeschlecht teilte sich von jeher in die ehrbaren und die unehrlichen Frauen. Die ehrbaren Frauen waren die, die von einem einzigen Männchen ausgehalten wurden, und das dem Ideal nach lebenslang. Es gab immer auch Gesellschaften, die erlaubten Scheidung einer einmal geschlossenen Ehe, aber gern gesehen ward das nirgendwo, bis die Tage kamen, die der Junge durchlebte. Die unehrlichen Frauen waren die, die sich an jeden verkauften, der genug Geld hatte.

Die Männer mochten diese „gefallenen“ Frauen, wie sie gern genannt wurden. Nun ja, dass sie sie mochten, ist nicht verwunderlich. Die Frauen hassten sie in aller Regel, und wenn es zu Razzien und Übergriffen auf diese wenig wehrhaften Geschöpfe kam, war gewöhnlich die Wut der ehrbaren Frauen die Ursache. Die Wut nannte sich dann Moral Sitte Anstand, aber was die Männer anbelangte, so konnten die gut verdienenden Huren gerne in goldenen Karossen fahren, und zu gewissen Zeiten in gewissen Ländern in gewissen Städten taten sie das auch. Manche Huren nutzten die Regeln des Marktes und verstanden für ihre Gunst gewaltige Summen zu erwirtschaften, die meisten aber führten ein elendes und schmutziges Leben, mussten sich elenden und schmutzigen Männern hingeben um elende und schmutzige Münze. Da das Leben des Menschtieres zu allen Zeiten elend und schmutzig war, regte sich niemand groß darüber auf.

Auch in den bleichen Ländern, die die Gleichsetzung von Beischlaf und Verbrechen erfanden, gab es Prostitution. Da die Männchen jetzt, so ihnen von einer anständigen Frau der Beischlaf gewährt wurde, immer schon mit einem Bein im Gefängnis standen, war anzunehmen, dass sich die Zahl der Huren vermehren würde. Das Menschenmännchen war schon immer bereit gewesen zu zahlen. Zu zahlen für das schnelle Vergnügen, wurde denunziert, und das war dann und wann die Wahrheit, aber meistens nur die halbe, und oft nicht einmal das. Der Drang des Menschenmännchens nach Nähe nach Intimität nach Vereinigung ist so quälend, dass es die Erfüllung, so sie ihm vorenthalten wird, lieber in einer bezahlten Beziehung sucht, als darauf zu verzichten. Da gerade die Ehe oder eine dauerhafte Beziehung der Ort ist, wo dem Männchen Intimität und Vertrauen am hartnäckigsten verweigert werden, da gerade die Ehe oder eine dauerhafte Beziehung der Ort ist, wo dem Männchen am ehesten mit dem Nagelstiefel ins Gesicht getreten wird, wo das Männchen am ehesten mit Zurückweisung Verhöhnung Demütigung Kälte sich konfrontiert sieht, ist es gar nicht anders zu erwarten, als dass solch misshandelte Männchen wenigstens den Anschein von Intimität wenigstens die Illusion von Nähe wenigstens den kurzen Traum von Intimität in der eiligen Begegnung mit einer bezahlten Hure suchen.

Das sind die Schweine, die Frauen missbrauchen! wussten die Frauenbefreier. Die den weiblichen Körper unterwerfen wollen! Um nichts anderes geht es denen! Um die Macht über den Frauenkörper!

Die Sittenwächter, männlich wie weiblich, hatten niemals Probleme damit, ihre Hassgefühle und ihre generelle moralische Versifftheit aufs Display zu bringen, nicht zu dieser Zeit, nicht zu irgendeiner anderen. Zur Zeit des Jungen, wie gesagt, nannten sie sich Frauenbefreier.

Tatsächlich suchten die wenigsten Männchen Huren auf, weil ihnen das so viel Spaß machte. Meistens suchten sie, was ihnen anderenorts verweigert wurde, sei es, weil sie überhaupt kein Weibchen abbekommen hatten, sei es, weil zu Hause das Weibchen hockte wie die Spinne im Netz, und kein Ort auf der Welt so Hölle war wie dieses Netz mit dem hockenden Weibchen darin.

Wie auch immer. Unter einem Himmel, da Beischlaf grundsätzlich unter Vergewaltigungsverdacht steht, wird die Zahl der bezahlten Kontakte zwischen Männchen und sich verkaufenden Weibchen doch gewisslich steigen?

Genau das wird passieren, wusste das Sittenvieh unter den bleichen Himmeln. Da müssen wir vorbeugen da müssen wir einschreiten da müssen wir was machen!

Sie verfielen auf Wege so entmenscht, dass es Übelkeit verursacht, davon zu reden.

Wir bestrafen einfach die Mannschweine, die zu den Huren gehen! erleuchteten sich die Sittenhirne. Ganz einfach! Wir stellen das unter Strafe!

Nicht nur stand also der einverständliche Geschlechtsverkehr zwischen Männern und Frauen vorweg unter Straftatverdacht, und zwar Verdacht auf eine Straftat, grundsätzlich vom Mann begangen, es sollten jetzt also auch die Männer bestraft werden, die, dem Verdacht zu entgehen, das Angebot der Huren wahrnahmen.

Das Angebot der Huren folgte im Übrigen in diesen Ländern wie überall sonst strikt den Regeln des Marktes. Der Nachfrage durch die Männer antwortete das Angebot williger Frauen, das Angebot wurde so lange aufrechterhalten, wie eine Nachfrage da war. Einfach. Und die Nachfrage, die war da. Das Angebot wurde nachgefragt, immer und überall. Das wussten die Sittenwächter. Wo kein Käufer ist, kann auch nichts verkauft werden. Frauen können ihre körperliche Gunst nicht gegen Geld gewähren, wo keiner ist, der sie haben will. Es ist immer einer da, der sie haben will, keine Ware auf dem Markt wurde so sicher und problemlos umgesetzt wie der weibliche Körper.

Ihr sollt eure Körper nicht zur Ware machen! riefen die Sittenwächter.

Wenn wir doch aber Geld dafür bekommen? fragten die verkaufenden Weibchen.

Die verkaufenden Weibchen nahmen nie eine besonders angesehene Position in der Gesellschaft ein, um das mindeste zu sagen, wenn man aber ihre menschliche Qualität mit dem Abfall der Sittenwächter vergleicht, kann kein Zweifel sein, welche Gesellschaft die menschlich anständigere ist. Aber das galt zu Zeiten des Jungen für viele Berufe. Wenn ich mir den Politiker ansehe, dachte der Junge, den Journalisten, den Pfarrer, und daneben einen anständige, hart arbeitende Hure, die für ehrliches Geld ehrliche Leistung liefert, dann weiß ich, wo menschlicher Anstand zu suchen und zu finden ist und wo nicht.

Das schienen die Sittenwächter unter den bleichen Himmeln auch zu wissen, oder zumindest zu argwöhnen, und so verfolgten sie die Prostitution mit irrer Gewissenhaftigkeit.

Der Besuch von Prostituierten wurde unter Strafe gestellt. Wohlgemerkt, das Angebot der Prostituierten auf dem Markt blieb erhalten, aber wenn ein Kerl des Weges kam und das Angebot wahrnahm und dabei erwischt wurde, ging es übel für ihn aus. Geldstrafe, oder im Wiederholungsfall Gefängnis. Das Schwein hat einen Frauenkörper gekauft! Dass die Frau die temporäre Nutzung eben dieses Körpers ja zum Kauf angeboten hatte, spielte dabei keine Rolle, das Mannschwein muss bestraft werden. Das Risiko der Geld- oder Freiheitsstrafe hätte die meisten Männer vielleicht noch nicht einmal abgeschreckt, aber man kam auf eine weitere Idee, der Zivilisation der bleichen Länder so recht würdig.

Pranger! Man hatte ja jetzt die elektronischen Spielzeuge!

Man nahm ein gut ausgeleuchtetes Foto auf vom Antlitz des erwischten Männchens und stellte es ein in die elektronischen Spielzeuge: mit vollem Namen und voller Adresse. Seht es euch an, das Schwein! Die Familie soll es sehen, die Nachbarn sollen es sehen, der Arbeitgeber soll es sehen, die Kollegen sollen es sehen!

Und die Sittenwächter holten sich jodelnd einen runter beim Gedanken an die Demütigung, die sie dem erwischten Männchen verschafften.

Alle Welt soll diese Mannschweine verachten, die zu den Huren gehen! riefen sie. Alle sollen über die lachen! Versager sind das, die für Sex bezahlen müssen, weil sie auf andere Weise eine Frau nicht für sich zu gewinnen vermögen!

Und vielleicht kam es wirklich so, zumindest in den bleichen Ländern, dass alle Welt die Menschmännchen verachtete, die zu den Huren gingen, alle Welt, mit Ausnahme der Huren selber, denn die zogen ja ihren Lebensunterhalt aus dem Kommen dieser Männchen, und überhaupt waren sie zumeist einfach gestrickte und gutherzige Wesen, die es mit dem Verachten anderer Menschwesen nicht so hatten. Ein Grund mehr für die Menschmännchen, weiter zu den Huren zu gehen, da die ja nun die einzig noch verbliebenen menschlichen Wesen waren, die sie nicht verachteten.

Wahrlich, man möchte meinen, ein vertierteres Gesindel als diese Sittenwächter unter den bleichen Himmeln hat noch überhaupt kein Himmel gesehen. Aber das glaubt der Betrachter immer, wenn das Menschtier sich schlimmer verhält, als jedes andere Tier es könnte, und immer gibt es noch eine weitere Stufe auf der Treppe abwärts, und noch eine, und noch eine, und ein Ende ist nie.

Es versteht sich, dass die wirklichen Betroffenen dieses schweinischen Irrsinns die Huren waren. Die Huren wollten ihr Angebot ja aufrecht erhalten, denn sie lebten davon, und die Nachfrage war ungebrochen. Sie hatten kein Interesse daran, dass ihre Kunden an den Pranger gestellt wurden, sie hatten kein Interesse daran, dass die Kunden aus Angst womöglich wegblieben. Sie hatten keinerlei Interesse daran, dass sie bei der einvernehmlichen Handlung zusammen mit ihren Kunden erwischt wurden. Sie wollten ihre Kunden schützen. Infolgedessen verlegten sie ihr Segment des Marktes in die Heimlichkeit. Dass es so kommen würde dass es so kommen musste, hätte jeder Betrachter mit einem Rest von Verstand vorhersagen können, und es hatte wohl auch Betrachter genug gegeben, die es vorhergesagt hatten. Gegen die Raserei des Sittenviehs war jedoch kein Kraut gewachsen. Vernunft hatte noch nie geholfen, in der Geschichte des Menschtieres auf dem Planeten Erde, gegen die irre Wut der Sitte.

Bedenkt bitte: solange das Markthandeln der käuflichen, ihre Körper zur Benutzung anbietenden Frauen und Mädchen sich öffentlich, unter den Augen der obrigkeitlicherseits bestellten und bestallten Marktwächter vollzogen hatte, solange war einfach durch die Präsenz der Wächter für die kaufbaren Weibchen ein gewisser Schutz gegeben.

Nun aber schrien die selbsternannten Sittenwächter: Wir müssen die Mannschweine bestrafen, die sich die Vereinigung kaufen wollen, die Vereinigung mit dem Frauenkörper! Bestrafen die Säue! An den Pranger mit denen!

Da aber, die intime Vereinigung mit einer Frau zu wollen, nicht im bösen Willen des Mannes liegt, sondern eine ihm eingeborene Wesensbefindlichkeit ist, ging es nicht darum, die körperliche Vereinigung zu bestrafen, sondern darum, die Männer dafür zu bestrafen, dass sie Männer sind. Das Verlangen, sich mit einem Menschweibchen zu vereinigen, ist dem Menschmännchen eingeboren, wofern seine Bedürfnisse nicht auf das eigene Geschlecht gerichtet sind, und die Sittenwächter wussten das. Selbstverständlich wussten sie das. Sie grinsten noch dabei. Endlich! riefen sie. Endlich! Jetzt bestrafen wir diese Mannschweine dafür, dass sie Männer sind! Mann sein heißt, lebensunwertes Leben sein! Was lebensunwert! Mannsein heißt, schuldhaftes Leben sein. Die Mannsäue haben schuldhaft zu verantworten, dass sie Mannsäue sind! Nieder mit denen! Runter! Fertigmachen!

Die Frauen und Mädchen, die ihre Körper anboten auf dem Markt, mussten das nun in aller Heimlichkeit tun. An verborgenen Orten, geschützt vor den Blicken und dem Zugriff und nach Möglichkeit auch vor dem Wissen der Büttel. Am besten ließen sich die Blicke der Büttel dadurch vermeiden, dass man die Büttel durch reichliches Bakschisch dazu brachte, die Augen zuzudrücken. Wer gegen Bezahlung die Augen verschließt, der sieht in der Tat nichts, und die Frauen mussten fortan einen Teil ihres Einkommens abdrücken, die Büttel zu bestechen. Nicht nur das. Manche der Frauen waren minderjährig, bei den meisten sollte die Familie nicht wissen, wie sie ihr Geld verdienten. Nicht wenige waren aus fremden Weltgegenden unter die bleichen Himmel gekommen und hielten sich ohne Erlaubnis auf in dem wohlhabenden Land, schwebend in der Gefahr, wieder fortgejagt zu werden. Wenn sie misshandelt wurden, übervorteilt, bestohlen – konnten sie noch zu den Marktwächtern gehen, sich zu beschweren, Hilfe zu suchen? Wie denn. Sie konnten ja schon deshalb nicht zu den Marktwächtern gehen, weil sie das Markthandeln zwischen sich und den Kunden nicht gefährden wollten. Der Schutz der Kunden vor dem Zugriff dem Übergriff der Büttel hatte Priorität, denn wenn der Schutz nicht mehr gewährleistet war, würden die Kunden wegbleiben, und was war dann mit dem Verdienst?

Die Abwesenheit der Marktwächter öffnete alle Türen für das Eindringen primitivster, brutalster Gewalt. Die Schläger und Schwerstkriminellen machten sich breit auf dem obdachlos gewordenen Marktsegment, und nahmen die wehrlosen die schutzlosen Frauen unter ihre Fuchtel. Ich beschütze dich, sagten grinsend die Kriminellen, gib mir dafür dein Geld, und wenn du mir dein Geld nicht gibst, schlag ich dich zusammen. Nach Kriminellenart teilte das Gesindel den Markt unter sich auf, ich beherrsche die Frauen auf meiner Straßenseite, du auf deiner. Wenn du mir ins Gehege kommst, rufen wir unsere Freunde zusammen, dann machen wir das mit unseren Messern aus. Oder mit unseren Knarren.

Die Frauen blieben auf der Strecke, sie waren die Schwachen, und die Kunden sahen furchtsam weg, sie wollten die Weiche und Offenheit der Frauenkörper, wollten die Nähe wollten die Intimität wie nichts sonst auf der Welt, und blickten also weg, wenn es um die Begleitumstände ging, so wie die bestochenen Büttel wegblickten, so wie das Sittenvieh wegblickte, und die Frauen hatten nichts und niemanden mehr in der Welt, der sich für sie verantwortlich fühlte. Sie wurden gequält sie wurden bestohlen sie wurden geschlagen sie wurden zusammengeschlagen, wegen welcher Schuld? wegen keiner. Weil sie Frauen waren, und dumm, wie diese Frauen nun einmal sind, und körperlich schwach und wehrlos, wie Frauen nun einmal sind.

Das war der glänzende Erfolg des Sittenviehs unter den bleichen Himmeln, und es sind viele Frauen verdorben gestorben in diesen Tagen, unter den bleichen Himmeln, sie werden Zeugnis ablegen gegen das Sittenvieh, wenn der Tag kommt.

Und es wird kommen der Tag.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, nun ja, der Leser wird mittlerweile gemerkt haben, das unveröffentlichte Manuskript, Veröffentlichung dieses Ausschnitts 12.11.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)