… das gleiche sonderbare Geangste fiel dem Jungen übrigens auch auf bei den jungen Frauen, die sich einen Freund oder Lebensgefährten suchen sollten oder wollten. Das war ein Hin und ein Her, ein Wenn und Aber, ein Ach und Krach! Ist das jetzt auch wirklich der Richtige, es muss doch unbedingt der Richtige sein! Als Richtiger galt diesen Weibchen nie der, der passablen Wert hatte, sondern der, der draußen im Geander den besten Anwert fand. Mit dem am Arm man prunken konnte! Gewöhnlich standen mehrere Kandidaten zur Auswahl, und je größer deren Zahl, desto lauter das Ächzen der Weibchen. Was, wenn ich mich jetzt falsch entscheide? Der war zu groß, der zu dumm, der vielmehr zu klein, der las zu viel, der hatte immer den Kopf unter der Motorhaube seines Autos. Ich will aber doch, dass diesmal alles klappt! jammerte das Weibchen. Ich will, dass alles perfekt wird!
Oh, bitte! juckte es den Jungen zu fauchen. Nimm dir endlich einen, und dann guck, was du daraus machst!
Er entdeckte schnell das tertium comparationis zwischen den ängstlichen Bibliotheksmüttern und den ängstlichen Partnersucherinnen: es war die gemeinsame Angst vor der Fülle der Wahlmöglichkeiten. Ich kann mich nicht entscheiden! war der weibliche Ruf. Was soll ich denn jetzt machen! Wofür soll ich mich entscheiden? Und wenn ich mich jetzt falsch entscheide?!? Ich will doch das Richtige, das absolut Richtige, den perfekt Richtigen!
Sie hatten auch Angst, den falschen Schal um den Hals zu tragen, den in den Farben vom vorigen Winter. Oder womöglich ertappt zu werden mit einem Paar Treter an den Füßen, die nun gerade überhaupt nicht angesagt waren. Sie hatten Angst vor den Blicken auf der Straße, die sie im Sommer durch das Vorzeigen von so viel nackter Haut wie möglich eifrig auf sich zogen.
Und wieder dachte der Junge: Da ist irgendwas in denen drinnen, das zwingt die, so zu denken. Hat nichts mit Kultur oder Einstellungen zu tun. Die geraten einfach in Panik, wenn sie vor mehreren Möglichkeiten stehen und sich entscheiden müssen. Und vor dem Geander dann womöglich dastehen als die, die sich falsch entschieden hat!
Nackt rumlaufen und beachtet werden? Sich verhüllen und unbeachtet bleiben?
Beides! Alles! Gleichzeitig!
Dies Buch oder dieses? Der oder der, oder vielleicht sogar die? Was soll ich bloß machen? Ich will beides, ich will alles! Ich will das, und auch das Gegenteil!
Männchen, das er war, präferierte er das nackte Herumlaufen der hübschen jungen Weibchen, aber er verstand nie, wie er das unter einen Hut bringen solle, gleichzeitig hinzugucken und auf keinen Fall hingucken zu dürfen, die Weibchen wollten eben beides, sie wollten alles, und die Männer sollten selber zusehen, wie sie das machten, wir sind Frauen, wir wollen alles, und vor allem von allem auch das Gegenteil!
Sie fragten ihre Männer um Rat, was sie anziehen sollten, und wenn die Männer ihnen das sagten, beschwerten sie sich über die Bevormundung. Gleichzeitig kauften sie sich Frauenzeitschriften und suchten in denen nach Rat und starrten die Bilder an der klepperdürren Mädchen, die die neuesten Kreationen trugen, und dann sahen sie in den Spiegel und seufzten, ich will auch so dünn sein, und dann beschwerten sie sich in den elektronischen Spielzeugen über die urteilenden Blicke, die alleweil Körpernormen festsetzten. Erklärten ihnen dann ihre Männer, dass es offenbar doch ihre eigenen Blicke seien, vor denen sie sich fürchteten, forderten sie die Männer auf, mit dem Erklären aufzuhören, euer Erklären bevormundet uns, sagten sie. Die Männer verlegten sich dann gern aufs Schweigen. Du redest nicht mehr mit mir, sagten die Frauen, und schrieben ihren Freundinnen in den elektronischen Spielzeugen: Mein Mann redet nicht mehr mit mir, was soll ich tun? Schau in die neue Ausgabe von der und der Frauenzeitschrift, rieten die Freundinnen, da ist ein Artikel, mein Mann redet nicht mehr mit mir, da wird dir gesagt, was du tun sollst.
Die Männer trafen sich zuweilen nach der Arbeit am Tresen, und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Sie sagten nichts dabei.
(Das schrieb Peter von Mundenheim, in einem unveröffentlichten Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht 01.11.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)