Der Ruf des Bessermenschen

Wieso ist es eigentlich so fruchtlos sinnlos ziellos, sich an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen? Weil alles schon anderswo gesagt worden ist, und wahrscheinlich besser? Weil sowieso niemand zuhört, und alle nur reden wollen? Weil aus den Schlammschlachten der öffentlichen Debatte noch keiner unbesudelt rausgekommen ist? Weil die da draußen sowieso alle ihre „eigene Meinung“ haben, die ihnen gestern in der Glotze vorgebetet worden ist?

Wir wissen selbstverständlich alle, dass die Welt nicht untergeht. Dennoch wird uns das gepredigt, seit wann? Seit den Tagen des Club of Rome? Seit den Tagen des Malthus? Seit die Welt steht? Letzteres vermutlich. Seit die Welt steht, ist das Untergangsgehystere unterwegs, und die Alarmisten versichern uns, der Untergang lässt sich noch abwenden, aber NUR wenn diese oder jene einschneidende Maßnahme getroffen wird. Die einschneidende Maßnahme, die unbedingt getroffen werden muss, ist seit Mitte des vorigen Jahrhunderts die Abschaffung des Kapitalismus, denn der Kapitalismus ist an allem schuld.

Der Verweis auf die Realitäten nützt da nichts. Nicht der Verweis darauf, dass die Kritiker alle Einwohner der Marktgesellschaften sind, aus vollen Backen an den Vorzügen der Marktgesellschaften mampfen und auch gar nicht die Absicht haben, das jemals zu ändern. Schon gar nicht der Verweis darauf, dass jene Unglücklichen rund um den Erdball, die nicht in Marktgesellschaften leben, alle rufen „Wir auch! Wir auch!“ und entweder in ihren eigenen Gesellschaften den Markt zu etablieren suchen – den freien Markt der Gedanken und der Waren – oder, wenn das nicht geht, sich eben zu Fuß oder per Boot dorthin aufmachen, wo der Markt brummt, zu uns also, oder gleich nach Amerika.

Es nützt auch nichts, darauf zu verweisen, dass es niemals so vielen Menschen rund um den Globus so gut gegangen ist wie heute, unter den Bedingungen des Marktes. Es nützt nichts, darauf zu verweisen, dass alle Untergangspropheten sich immer nur lächerlich gemacht haben. So oft der Untergang schon prophezeit worden ist, er kam nie. Es nützt nichts, darauf zu verweisen, dass alle belastbaren Zahlen nur immer zeigen, die Dinge wandeln sich, die Dinge wandeln sich gewaltig, und zwar zum Besseren.

Die Gewaschenen sind entsetzt. Und zwar über den Markt, den freien Markt der Waren und der Ideen. Sie nennen den Markt gern „Kapitalismus“, weil das grässlicher klingt, und versichern, der Kapitalismus zerstört den Planeten, der Kapitalismus muss weg. An ihrem Entsetzen erkennen sich die Gewaschenen als die Bessermenschen. Die Ungewaschenen, das sind die Doofen, die sich nur den Wanst vollhauen wollen, die immer essen wollen und von allem noch immer mehr haben wollen, weil ihnen der Kapitalismus das so befiehlt. Der Kapitalismus sage den Ungewaschenen, der Sinn des Lebens bestehe darin, immer mehr Güter zu konsumieren, und weil die Ungewaschenen doof sind (so weiß der Gewaschene), glauben sie das. Die Ungewaschenen, das sind die Massen, die durch die Gassen schieben, und die Gewaschenen, das sind die, die aus ihrem Fenster von oben herab auf die schiebenden Tröpfe runterblicken und nur noch den Kopf schütteln können. Wir die Sauberen Bewussten Alarmierten, dort unten die Ungewaschenen Bewusstlosen Wurstigen Fremdgesteuerten. Fremdgesteuert von der Marktpropaganda.

Fremdgesteuert ist da nur einer, und das sind die Gewaschenen selber. Sie glauben ihrer eigenen Propaganda, und die Propaganda ist alarmistisch. Sie kennt nur einen Inhalt, nämlich das Schreckbild eines profitgierigen Kapitalismus, der um die Häuser zieht mit keinem anderen Ziel, als den Planeten aufzufressen, des Profits wegen.

Die Ungewaschenen sind eher skeptisch, setzen voraus, dass sie von den Medien sowieso angelogen werden, und kümmern sich eifrig darum, ihre Rechnungen zu bezahlen, ihr Häuschen zu bauen, ihre Kinder großzuziehen und deren Ausbildung zu finanzieren. In einem Wort, die Ungewaschenen planen in die Zukunft hinein, die Gewaschenen entsetzen sich vor der Zukunft.

Ungefähr neunzig Prozent aller Journalisten in diesem Land – und in anderen Ländern sieht es nicht besser aus – bezeichnen sich auf Befragen als politisch linksstehend, egal, für welches Medium sie arbeiten. Das beantwortet die Frage, warum die Ungewaschenen, also die Massen, die durch die Gassen schieben, so fest davon überzeugt sind, dass sie von den Medien konsequent belogen werden.

Die Gewaschenen erkennen in ihrem Linksismus sich selber als die Bessermenschen. Nicht nur als die Besserdenker, sondern schlechthin als die Bessermenschen. Als Bessermenschen sind sie Durchblicker, sind sie Checker, die die Marktgesellschaft durchschauen, sie durchschauen die verbrecherische Profitgier, die den Planeten in den Abgrund treibt. Der Linksismus ist nicht irgendeine beliebige politische Meinung. Er ist ein Geglaub, eine Weltanschaulerei, die die ganze menschliche Statur des Linksisten durchwirkt. An seinem Linksismus erkennt sich der Besserdenker als Bessermensch. Er weiß einfach, dass er recht hat. Er fasst es nicht, dass da draußen andere sind, die anders denken, in ihrer Verblendetheit. Die Ungewaschenen vor allem, die Massen also, die durch die Gassen schieben. Die Ungewaschenen denken nicht linksistisch, denn wenn sie überhaupt denken (weiß es in dem linksistischen Bessermenschen), so denken sie unter dem Einfluss der Marktpropaganda. Wenn die was kaufen, dann kaufen sie es, weil ihnen die Reklame gesagt hat, sie sollen das kaufen. Wenn die was gut finden, dann finden sie es gut, weil ihnen die Reklame gesagt hat, das ist gut. Die haben keine eigene Meinung, diese Ungewaschenen, die haben keinen eigenen Gedanken, die haben keinen eigenen Willen, entsetzt sich der Linksist und schüttelt den Kopf und fasst es nicht. Die sind alle fremdgesteuert, entsetzt sich der Linksist und schüttelt den Kopf und fasst es nicht. Die glauben alles, was ihnen die Reklame vorbetet, entsetzt sich der Linksist und schüttelt den Kopf und fasst es nicht. Dabei sieht doch ein Kind, dass der Planet den Bach runtergeht, entsetzt sich der Linksist und schüttelt den Kopf und fasst es nicht. Und weil das ja nun wohl auch ein Kind sehen muss, erzählt der Linksist das seinen Kindern oder als Lehrer den Kindern anderer Leute, und diese Kinder gehen dann auf die Straße und demonstrieren gegen den Kapitalismus, zum Beispiel auf der Freitagsdemo.

Die Aussichtslosigkeit der Einrede beruht auf der einfachen Tatsache, dass der Linksismus nicht nur ein verbackenes Meinungsagglomerat ist, sondern Persönlichkeitsprothese des Bessermenschen. Der Bessermensch hat eigentlich gar keine Persönlichkeit, er ist Linksist, der Linksismus ist sozusagen sein Exoskelett, das hilft ihm beim Arbeiten Denken Leben, ohne dieses Skelett könnte er nicht einmal atmen. Er kann dieses Skelett nicht einfach abwerfen und aus eigenen Kräften wandeln, er würde zusammenbrechen. Er erkennt sich selber als Reinlicher als Gewaschener Gepflegter Bewusster und Durchblicker in seinem Linksismus, Weihe umgibt seine Person, die Weihe des Bessermenschen.

Wir sind tot, wenn wir denen folgen.

(Dieser Text ist eine konspirative Gemeinschaftsarbeit von Peter von Mundenheim und Peter Flamm, geschrieben eigens für diese Seite, veröffentlicht am 27.10.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)