Ein Nachtrag noch, dann muss genug sein. Mir steht das Thema bis zum Hals.
Eine neue Menschkategorie ist geboren, nun ja, so neu ist sie nun auch wieder nicht. Während der Pandemie teilte sich die Gesellschaft in die Richtigmenschen und die Falschmenschen. Mal wieder. Die Richtigmenschen, das waren die Besorgten die Gewaschenen die Einsichtigen. Die Impfwilligen. Die Richtigmenschen standen Schlange vor den Apotheken, um sich ihre kostenlosen Maulkörbe abzuholen. Die Richtigmenschen erkannte man daran, dass sie sich Sorgen machten um den richtigen Sitz der Maulkörbe, vor allem bei den Mitmenschen. Die Richtigmenschen beobachteten genau in den öffentlichen Verkehrsmitteln, ob die Mitmenschen die korrekte Sorte von Maulkörben aufgesetzt hatten. Die Richtigmenschen kannten sich aus, sie wussten, welche Sorten von Maulkörben es gab. Dem Richtigmensch war der Maulkorb nicht nur Maulkorb. Dem Richtigmenschen war der Maulkorb hygienisches Instrument überhaupt nur nachrangig. Zuallererst war dem Richtigmenschen der Maulkorb Tugendwimpel. Am Maulkorb erkannte der Richtigmensch sich selber als tugendhaft, am fortgesetzten Tragen des Maulkorbs maß er die Tugendhaftigkeit der anderen.
Wurde irgendwo eine Party gefeiert, stand alsbald die Polizei auf der Matte. Woher nur wusste die Polizei von der Party? Es hatte Anrufe gegeben. Wer waren die Anrufer? Richtigmenschen. Die Leute, die da feierten mitten während der Pandemie, das waren die Falschmenschen.
Die Falschmenschen, das waren die Verantwortungslosen, die Rücksichtslosen, die Corona-Leugner, die Impfgegner.
Zugegeben, die Kategorie hat es auch früher schon gegeben. In alten braunen Zeiten, denen eine Mehrheit der Bevölkerung offenbar hinterhertrauert, hießen solche Personen Miesmacher und Drückeberger. Aus gleichem Geiste kam später das Wort auf von den Sozialschmarotzern. Falschmenschen eben, an deren Falschheit sich die Richtigmenschen aufbauen. An der Falschheit der Falschmenschen werden die Richtigmenschen ihrer Richtigkeit inne. So ein Glück! Im Grunde braucht der Richtigmensch den Falschmenschen. Wie könnte er sich sonst als Richtigmenschen erkennen? So richtig schön wird das Leben als Richtigmensch erst, wenn der Richtigmensch sich entrüsten kann, über den Falschmenschen. Fassungslos vor Empörung, so erst kommt der Richtigmensch so richtig zu sich selbst, so kommt er an bei seiner Richtigkeit.
Diese saubere Scheidung der Geister zeigte sich schon in der Klimadebatte. Auf der einen Seite sah man da die Sauberen und Gewaschenen und Besorgten, die in vollem Umfang sich entsetzten über die Klimakatastrophe und ihren Verursacher, die kapitalistische Industriegesellschaft. Auf der anderen Seite die Abstreiter, die Ungewaschenen, die Klimaleugner.
Die Realität sieht ein bisschen anders aus.
In der Realität stehen sich keineswegs die unbestechlichen Checker auf der einen Seite und die Leugner auf der anderen gegenüber, solche Behauptung hat keinen Rückhalt in irgendeiner Realität. Der gewaltigen Mehrheit der Menschen ist klar, das Klima ist dabei, sich zu ändern, es wird wärmer. Gibt kaum noch Schnee im Winter, wem wäre das nicht aufgefallen. Wer sich da gegenübersteht, das sind nicht die Zustimmer und die Leugner, das sind vielmehr die Hysterer und die Gelassenen. Die Gelassenen sind die größere und schweigende Gruppe, die Hysterer die kleine und schreiende. Die Gelassenen sagen sich, nun wohl, das Klima ändert sich, das hat es schon immer getan, was machen wir jetzt? Wir müssen die Sache auf uns zukommen lassen, und dann werden wir sie bewältigen. Werden wir das schaffen? Selbstverständlich werden wir das schaffen. Die Menschheit hat noch jede Herausforderung erfolgreich bewältigt, sonst wären wir ja nicht hier. Und was unsere Altvorderen geschafft haben, das werden wir auch schaffen. Mal sehen, was der Klimawandel bringt, mal sehen, wie wir am besten damit zurechtkommen. Es wird eiern, das ist jetzt schon klar, denn der Fortschritt der Menschheit hat immer geeiert, anders geht das nicht. Unsere Altvorderen haben alle Katastrophen bewältigt, nämlich recht und schlecht, aber doch mehr recht als schlecht, denn immer ist es irgendwie aufwärts gegangen, und hier sind wir nun. Auch wir gehen weiter, nach vorne, weil es eine andere Richtung gar nicht gibt, und unser Gang ist eiernd. Daran wird sich wohl nie etwas ändern. Nur eines ist gewiss: der Weltuntergang, den die Hysterer herbeizuschreien versuchen, der wird nicht eintreten. Das Leben wird weitergehen.
Die Hysterer wissen das ganz anders. Maximale Maßnahmen! Jetzt! Sofort! Wir müssen den Planeten vor dem Untergang retten! Alle demokratischen Strukturen aussetzen, sofort und weltweit! Alle Regierungen und erst recht die ganze Industrie den Weisungen eines umfassend befugten Klimarates unterwerfen! Niemand hat mehr was zu sagen, nur noch der Klimarat! Diktatorische Vollmachten!
Die so schreien, das sind die Gewaschenen und Besserdenker, die gleichzeitig die Besserverdiener sind. Und die Töchter der Besserverdiener, die gingen erregt auf die Straße, zur Freitagsdemo.
Es waren tatsächlich überwiegend höhere Töchter, die auf den Demonstrationen zu sehen waren. Männliche Lehrlinge im Blaumann beobachtete man dort nicht. Unglaublich, wie sie sich einsetzten, die höheren Töchter! Wie ausgefüllt ihre Tage waren! Mittwochs nach der Schule Jazztanz, donnerstags Cellounterricht, und Freitags noch rasch die Welt retten. Danach dann aufatmend Anruf zu Hause, Mami, die Demo ist fertig, kommst du mich holen, mim Auto?
Das erklärt auch die Abwesenheit der Lehrlinge. Die standen in der Werkstatt und waren damit beschäftigt, Mamis Auto auf Vordermann zu bringen, damit Mami ihre höhere Tochter nachher auch würde abholen können, vom Weltretten.
Dieselbe reinliche Scheidung der Geister auch in der Pandemie. Die offizielle Sprachregelung verlangt, da stehen sich gegenüber die realistisch Besorgten, und die Leugner. Die Verantwortungsbewussten gegen die Impfgegner. Auch hier ist die Realität eine ganz andere. Der überwältigenden Masse der Menschen ist klar, da ist ein neues Virus unterwegs, und da es neu ist, gibt es noch keine Widerstandskraft in der Bevölkerung. Klare Sache, und wieder bilden sich zwei Gruppen heraus, und wieder gilt: Wer sich da gegenübersteht, das sind nicht die Zustimmer und die Leugner, das sind vielmehr die Hysterer und die Gelassenen. Die Gelassenen sind die größere und schweigende Gruppe, die Hysterer die kleine und schreiende. Die Hysterer brüllen nach Maßnahmen und schreien, jetzt gilt es nur noch die Pandemie, sonst sind wir alle tot. Die Gelassenen sagen, das wollen wir erst mal sehen. Noch nirgendwo lag die Todesrate bei den Angesteckten oberhalb von einem Prozent, meistens deutlich drunter. Überschaubares Risiko.
Angesichts der Pandemie wie angesichts des Klimawandels gilt das gleiche. Die Hysterer sind die Infantilen, die mit der Angst um die eigene Kostbarkeit, die mit der Unfähigkeit, die Realität angemessen in den Blick zu bekommen. Fast alle Machthaber gehören zu den infantilen Hysterern. Sie wollen die Hysterie, weil sie die Macht wollen. Macht, das sind die Maßnahmen. Die infantilen Machthaber schwelgen in der Macht ihrer Maßnahmen, und die infantilen Untertanen begrüßen die Macht, die über sie ausgeübt wird, und gieren nach ihrem kleinen Anteil an der Macht, Blockwartexistenzen, die sie sind.
Wir sind alle bedroht! schreien sie. Alle demokratischen Strukturen müssen ausgesetzt werden, jetzt gilt es nur noch den Kampf gegen die Pandemie, alle anderen Rücksichten müssen da hintangestellt werden.
Die Machthaber sind infantil, die Unterwürflinge sind infantil, das ergibt sich organisch.
Die Regressiven sind gern die Repressiven.
(Das schrieb Peter Flamm für diese Seite am 24.10.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)