Die Pressbengels in der Pandemie

Wenn alle Stricke reißen, und die Regierungen ihre vorgesehenen Funktionen nicht ordentlich erfüllen, und auch die Parlamente nicht, und womöglich nicht einmal die Gerichte, dann gibt es in demokratischen Gesellschaften noch immer eine letzte Verteidigungslinie gegen die Übergriffe der Machthaber: die freie Presse. Die Qualitätspresse!

Jawohl! Sicher hat die Presse auch die nette Aufgabe, die Leute zu unterhalten. Zu diesem Zweck verfolgt sie Promis bis in Schlafzimmer hinein zu diesem Zweck hebt sie mannhaft den erigierten Zeigefinger gegen katholische Bischöfe, die im Verdacht stehen, sie hätten im Badezimmer ihres Amtssitzes vergoldete Wasserhähne anbringen lassen. In solchen Fällen sind sie sowas von mutig, die Pressbengels.

Aber sie hätten ja auch noch eine andere Aufgabe, eine echte Aufgabe, nämlich misstrauisch und argwöhnisch die Mächtigen zu beobachten. Was treiben die?

Ich sagte ja schon, es wäre zuallererst Aufgabe der Parlamente gewesen, die Regierung jeden Tag auf den heißen Stuhl zu setzen. Haben sie nicht getan, das ist amtlich. Die Parlamente, deren verfassungsmäßiger Auftrag es gewesen wäre, die Regierungen zu kontrollieren, haben sich selber zu Durchwinkvereinen degradiert, die ihren vorgesetzten Regierungen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Die Parlamente haben vor den Regierungen den Dreck vom Boden geleckt. In vielen Fällen scheinen die Parlamente nicht einmal die vorgesehen Fristen und Lesungen eingehalten zu haben, es bestand ja so dringender Handlungsbedarf, die Regierungen wollten, und die Parlamente lieferten.

Elende Knechte.

Es war also eine echte Notlage gegeben, die Demokratie eierte, die vorgesehenen Abläufe und Verfahren waren ausgesetzt, im Bundeskanzleramt traf sich regelmäßig eine Ministerpräsidentenkonferenz, von der das Grundgesetz nichts weiß, und diese Konferenz regierte das Land, setzte die Freiheitsrechte außer Kraft, und wurde von den Parlamenten nicht mehr kontrolliert.

Sollten da nicht die Sirenen losgehen?

Waren da jetzt nicht die Journalisten aufgerufen?

Hätten nicht jeden Tag die Journalisten berichten müssen mit bohrender Gnadenlosigkeit über die Maßnahmen, und über den Sinn der Maßnahmen, über die Folgen der Maßnahmen, und ob Alternativen bedacht worden seien, hätte nicht mit der gewohnten Urteilsschärfe, vor der sonst kirchliche Würdenträger zittern, jetzt Kompetenz und Verantwortung der virologischen Berater der Regierungen beleuchtet werden müssen?

Ja, hätte nicht hineingeleuchtet werden müssen Tag und Nacht, hätte nicht widersprochen werden müssen, hätten nicht Erklärungen verlangt werden müssen?

Hätten nicht die Pressbengels aktiv und initiativ hineingehen müssen ins medizinische Milieu und fragen müssen, unaufhörlich und bohrend fragen müssen, ob die Berater der Regierungen wirklich die einzig kompetenten Personen seien in dieser Sache?

Die Maßnahmen der Regierungen seien alternativlos, wurde uns versichert.

Wie wahrscheinlich ist das denn? Alternativen gibt es immer, und vor allem gibt es immer und überall Gegenmeinungen. Ein wissenschaftliches Milieu, in dem es keine Gegenmeinungen mehr gibt, hat seine Wissenschaftlichkeit aufgegeben. Ein wissenschaftliches Milieu, in dem es keine Kontroversen mehr gibt, ist auch kein Ort der Wissenschaft mehr.

Wäre es nicht die Pflicht der Pressbengels gewesen, ununterbrochen jene wissenschaftlichen Meinungen in den Vordergrund zu rücken, die den Auffassungen der Regierungen widersprachen? Ihre eigenen Auffassungen, die vertraten ja die Regierungen schon selber. Wäre da nicht von den Bengels zu fordern gewesen, dass sie die widersprechenden Auffassungen herausstellten?

Denn das ist doch wohl die Aufgabe der Presse in einer freien Gesellschaft, das Handeln der Regierenden kritisch zu begleiten?

Kritisch!!!

Statt dessen, und ihr wisst das, gehorsamte die selbsternannte Qualitätspresse allen Maßnahmen der Regierungen in speichelleckendem Unterwurf.

Alternativlos, das!

Vom ersten Tag an konnten sich die Bengels an kriecherischer Unterwürfigkeit gegenüber den Maßnehmern gar nicht genug tun. Sie hetzten sogar noch. Noch nicht scharf genug, die Maßnahmen! Wir müssen noch viel besser geschützt werden!

Geschützt werden vor was eigentlich? Vor einem Virus, dessen Ansteckung die meisten Infizierten noch nicht einmal bemerken?

Wäre es nicht Pflicht der Regierenden gewesen, den Menschen zu sagen, Leute, hört mal her, da ist ein neues Virus unterwegs, das ist für die meisten von euch harmlos, aber wer Pech hat, den kann es schlimm erwischen, damit müssen wir leben, damit können wir leben, wir machen business as usual, aber passt ein bisschen auf euch auf, fasst euch nicht soviel gegenseitig an, haltet Abstand, hustet euch nicht gegenseitig ins Gesicht, und wenn ihr in ein Geschäft hineinwollt und seht, das sind schon fünf Leute drin, dann wartet halt ein bisschen, draußen auf der Straße. Und wer besorgt ist, der kann einen Mundschutz tragen, stellen wir kostenlos zur Verfügung, Nutzen ist zwar umstritten, aber wen das beruhigt, der soll zugreifen. Und für den Notfall legen die Landesregierungen auf die Schnelle ein Gesundheitspaket auf, das soll dafür sorgen, dass, wo es nur geht, zusätzliche Krankenhausplätze geschaffen werden, und zusätzliche Intensivstationen, das sollte genügen, die Sache in den Griff zu bekommen.

Was die zusätzlichen Intensivstationen anbelangt, so ist das keine Hexerei, das Militär jedes zivilisierten Landes, also auch unseres, verfügt über mobile Operations- und Intensivstationen, die werden nicht herbeigehext, sondern von Spezialfirmen hergestellt, die können also geliefert werden, nicht so schnell wie der PC beim Lidl, aber doch schnell genug, da muss niemand bestürzt gucken, Vorsorge hätte bei Ausruf der Pandemie innerhalb weniger Wochen geleistet werden können.

Statt dessen war der Schrei von Regierungen und Parlamenten und Pressbengels unisono: Vor allem müssen wir die Ansteckungen verhindern, das vor allem, um nichts anderes geht es! Wir müssen den Zusammenbruch der Gesundheitssysteme verhindern! Lockdown! Die Leute einsperren! Die Geschäfte schließen! Das Land runterfahren! Das öffentliche Leben runterfahren! Und wann einer erwischt wird, wie er seine Verwandten besucht, schwer den bestrafen! Wenn einer nächtens auf der Straße erwischt wird, schwer den bestrafen! Bestrafen bestrafen bestrafen! Ausgangssperre!

Diese Verhinderungen haben die Pandemie uferlos verlängert, denn durch die Abschließungen standen ja immer frische Menschenmassen zur Verfügung, die mit dem Virus nie in Berührung gekommen waren, und kaum war der eine Lockdown aufgehoben, rollte schon die nächste Ansteckungswelle, natürlich tat sie das.

Ohne die Maßnahmen hätten die wir die ganze Geschichte längst hinter uns.

Die Maßnahmen haben in einem Maße menschliche und finanzielle Kosten eingefordert, das schlechthin unvorstellbar ist.

Alle, die diese Maßnahmen unterstützt haben, die Pressbengels voran, können gar nicht mehr zurück. Niemand, der diese Maßnahmen unterstützt hat, kann sich heute noch hinstellen und sagen, hört mal, Leute, wir haben uns geirrt, das war alles überflüssig, wir hätten uns das sparen sollen.

Nicht anders verhält es sich mit den gewöhnlichen Hysterern und Angstern, die einem bei jeder Gelegenheit mit höhnischen Geschichten in den Ohren liegen, wie dieser oder jener Zweifler, der einfach nicht habe an die Gefährlichkeit des Virus glauben wollen, nun selber von der Ansteckung niedergestreckt worden sei und stöhnend im Krankenhausbett liege, um Atem ringend und dabei keuchend: Wär ich nur schlauer gewesen! Ich hab es einfach nicht glauben wollen! Hätt ich nur auf die Schlauen gehört!

Mit solchen Geschichten – niemals selbst erlebt, immer nur aus neunundzwanzigster Hand weitergegeben, irgendwo gehört, irgendwo gelesen, sofort und blind geglaubt, niemals Name und Ort nennen könnend – trösten sich die Angster über die schleichende Einsicht hinweg, dass sie einer Wahnphantasie aufgesessen sind. Unter keinen Umständen können sie vor sich selber eingestehen, dass sie in ihrer hysterischen Angst einen Maßnahmenfuror unterstützt haben, dessen Nachfolgekosten die Schäden, die das Virus allenfalls hätte anrichten können, übertreffen um wieviel? um das Zehnfache? das Hundertfache? Wie viele Menschen werden zum Schluss unmittelbar am Virus gestorben sein? Und wie viele in Folge der Maßnahmen?

Und weil niemand sich dieser Frage stellen mag, wird auch nachträglich nicht darüber diskutiert, was man hätte anders machen können. Wiewohl doch sonst bei Katastrophenlagen gerade das nachträgliche Diskutieren von unerhörter Wichtigkeit ist, denn wir müssen ja feststellen, was haben wir falsch gemacht, was ist schief gelaufen, nur wenn wir das wissen, wissen wir auch, wie wir es das nächste Mal besser machen werden.

Werden wir es das nächste Mal besser machen?

Mit diesen Pressbengels sicher nicht.

Und wir wollen ja auf sie hören, auf die Pressbengels, hören auf ihre Verantwortungslosigkeit und auf ihre Geilheit nach Sensation und Hysterie, wir, die Angster und Hysterer.

Es hat schon seinen Grund, warum wir alle geschrien haben, wir müssen den Zusammenbruch der Gesundheitssysteme verhindern! Wer da mitgeschrien hat, der meinte in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Der meinte: Auf keinen Fall werde ich mich hinstellen und meinen kranken Nachbarn pflegen, das Schwein steckt mich womöglich noch an, mich Kostbaren! Für sowas gibt es die Gesundheitssysteme! Sollen die sich kümmern!

Das war es nämlich, was die Menschen getan haben in früheren Zeiten, als es noch keine Gesundheitssysteme gab. Sie sind hingegangen und haben sich selber um die Kranken gekümmert, und das mit der Ansteckung haben sie mal auf sich zukommen lassen. Das flenne Herumgefeige von den „Gesundheitssystemen“, deren Zusammenbruch um jeden, um buchstäblich jeden Preis verhindert werden müsse, komme was wolle, sollte einen ganz anderen, nämlich bereits vollzogenen Zusammenbruch vertuschen: den Zusammenbruch menschlichen Verantwortungsgefühls.

Wenn wir uns hinterherplärren, bleiben Sie gesund!, so meinen wir damit in Wahrheit, sieh zu, dass du gesund bleibst, du Clown, denn wenn du krank wirst, ich jedenfalls kümmere mich nicht um dich.

(Das schrieb Peter Flamm für diese Seite am 20.10.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)