Bleiben Sie gesund!

Bleiben Sie gesund!

Wohin ich auch komme, ich muss wieder gehen, und wenn ich wieder gehe, wird mir hinterhergeplärrt: Bleiben Sie gesund! Und begleitet ist die Erplärrung von einem milchwarm mildtätigen Lächeln, das mir sagen soll: Wir sorgen uns um Sie! Wirklich!

Sehen kann ich dies Lächeln natürlich nicht, denn die Lächler tragen alle Maulkorb, aber es blubbert warm im Stimmklang.

Kuhstalle Wärme.

Das ist die neue Gemeinsamkeit.

Wir sind alle so umeinander besorgt, soll das heißen. Wir kümmern uns, soll das heißen. Wir übernehmen Verantwortung füreinander, soll das heißen.

Meine grundsätzliche Antwort darauf lautet: Danke, aber ich kann selber auf mich aufpassen. Danke, aber ich melde mich schon, wenn ich will, dass sich jemand um mich Sorgen macht. Danke, aber ich brauche niemanden, der für mich Verantwortung übernimmt. Danke, aber ich brauche niemanden, der sich um mich Gedanken macht. Und danke, schon gar nicht brauche ich jemanden, der für mich denkt.

Das ist das neue Hopplahopp: Die Gemeinschaft macht sich die Gedanken. Die Gemeinschaft ist wie immer und grundsätzlich selbsternannt, sie hat kein wirkliches Mandat, sie ist nie gewählt worden, schon gar nicht von mir, aber sie ist da, und sie bevormundet, das ist ihr Ding. Unter dem Deckmantel der Fürsorglichkeit masturbiert die grenzenlose Lust an der Bevormundung.

Die mündigen Bürger sind aufgerufen, aufeinander aufzupassen. In jedem mündigen Bürger ist ein Blockwart verborgen, und der will spielen. Kontrollierende und zensierende Blicke überall. Hat der auch den richtigen Mundschutz auf? Hat der sich auch die Hände desinfiziert? Beachtet der auch, dass wir ihn beachten? Wir sind wichtig, wir sind ganz Blick und Beobachtung. Hier kann keiner machen, was ihm gerade einfällt, wo kämen wir da hin. Hier maximal zwei Personen eintreten! Hier mindestens zwei Meter Abstand halten!

Das Virus gehorcht übrigens der Politik. Zwischen meiner Heimatstadt und der Nachbarstadt liegt ein Fluss, über den führt eine Brücke, und der Fluss ist der Rhein, der deutsche Rhein. Will man drüben in die Bibliothek, muss man entweder geimpft sein, einen tagesfrischen Test vorweisen, oder „genesen“ sein, vom deutschen Wesen, vermutlich. Will man auf dieser Seite des Flusses in die Bibliothek, muss man Maulkorb tragen, aber ansonsten werden keine Fragen gestellt. Das Virus schafft es offenbar nicht, die Brücke zu überqueren. Dummerweise, für mich dummerweise, liegt die Universitätsbibliothek auf der anderen Rheinseite, drüben, wo man geimpft sein muss, um reinzukommen.

Alle Beteiligten sind überzeugt, alles ist richtig so, das muss so sein, die Politiker wissen, was sie tun. Wie gut, dass wir die haben! Die sagen uns, wo’s lang geht. Wir fühlen uns geborgen.

Die neue Fürsorglichkeit sorgt dafür, dass der mündige Bürger endlich ist, was er sein soll: unmündiges Kind.

(Das schrieb Peter Flamm für diese Seite am 16.10.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)