Der Nötigung nachgebend, ging ich also zur Impfung, denn das hat man heute. Sich impfen zu lassen, das ist ein Signal. Das Signal ruft: Seht mich an, ich bin tugendhaft! Ich bin keiner von den Verantwortungslosen! Ich übernehme Verantwortung! Für andere! Ich stelle keine Gefahr dar! Ich nicht!
Die Nötigung war klar, ungeimpft wirst du künftig in öffentliche Gebäude nicht mehr hineinkommen. Die Teststationen erhalten die Anweisung, die Prozedur so quälend wie möglich zu gestalten, damit die Opfer sagen, dann doch lieber die Impfung.
In der Nachbargemeinde war ein gedehnter Schuppen aufgebaut, Provisorium, Halle wie aus dem Industriegebiet. In der Halle langhin wandelnde Gänge, feuchtwarme Dunkelheit, die Schrittfolge festgelegt durch Barrieren und Einzäunungen, wie man sie auch in Großstädten verwendet, wenn zur Demo der schwarze Block aufmarschiert. Überall Wachpersonal, die Eintretenden beobachtend. Die Eintretenden hatten sich in langer Reihe aufzustellen, im Gänsemarsch voranzurücken. Sie taten das, sie taten das widerspruchslos. Anherrschung lag in der Luft. Es war klar, demütige Unterwerfung war angesagt. Wer sich auch nur im Geringsten widersetzen würde, hätte im nämlichen Augenblick die Greifer am Hals.
So saßen wir also, Adepten vor dem Eintritt ins Allerheiligste. Filter waren vorgebaut. Einzeln wurden die harrenden Personen vorgelassen in noch einmal abgesicherte, innenbeleuchtete Module, versteht mich richtig, es standen also in dieser weitgedehnten Industriehalle noch einmal geschlossene Pavillons oder Buden oder Baracken, nennt es wie ihr wollt, richtig mit Dach und Fenstern und allem Drum und Dran, und drinnen war Licht. Drinnen, so eröffnete sich mir, als ich eintreten durfte, drinnen fanden sich Schalter mit vorgeblendetem Panzerglas, hinter dem Panzerglas saßen Kontrollkräfte, die erst einmal den Einlassbegehrenden prüften auf Herz und Nieren. Papiere hatten vorgelegt zu werden, unter dem Panzerglas hindurch wurde eine abgedichtete Lade vorgeschoben, in die hinein waren die Papiere zu legen, die Kräfte hinter dem Panzerglas trugen alle Maulkorb. Die für mich zuständige Kraft – und bei einer anderen als der zuständigen Kraft hätte ich gar nicht erst anstehen dürfen – war schwer adipös. Auch sie trug Maulkorb, mir, der Welt und sich selber signalisierend, nicht etwa ihre Adipositas sei ihr gesundheitliches Problem, sondern die Ansteckung! Das Virus! Diese Virenschleuder da vor dem Panzerglas!
Also ich.
In Parenthese sei gesagt, darüber müssten auch noch einige Worte verloren werden. In der neuen Angstgesellschaft erscheinen Personen nicht mehr als Menschen, nicht mehr als Individuen, nicht mehr als Kind, Mann oder Frau, sondern nur noch als Infektionswirte. Als Überträger. Als Ansteckungsherde.
Ich komme darauf zurück.
Ich musste mich nackt ausziehen, bildlich gesprochen. Alle Personalien waren vorzulegen, Angaben zu machen. Natürlich! Aus Angaben setzt sich für den Vormund die Person zusammen. Personalausweis war vorzulegen, eine Akte wurde angelegt. Die Adipöse war der Gatekeeper, das verstand ich jetzt, sie war die persönliche Schranke vor dem Heiligtum.
Ich wurde noch immer nicht ins Allerheiligste vorgelassen, wieder war ich aufgerufen, mich niederzulassen auf vorgeordneter Stuhlreihe. Vor der Reihe standen Großbildschirme, auf denen liefen in Endlosschleife Propagandafilme, die versicherten Nutzen und Wahrheit der neuen Religion.
Ich verstand. Ich war im Begriff, in eine Sekte aufgenommen zu werden, die Gemeinschaft der Corona-Gläubigen. Die Gemeinschaft versprach, unendlichen Nutzen zu stiften den Neophyten, aber mit der Aufnahme in die Gemeinschaft waren und sind natürlich auch Pflichten verbunden. Allererste Pflicht ist, wie bei jeder Sekte, grenzenloser Glaube, bedingungslose Unterwerfung unter die neuen Lehrinhalte, gläubige Hinnahme des Katechismus.
Ich wurde aufgerufen, ein neuer abgeschlossener Pavillon öffnete seine Tür vor mir, und ich muss es noch einmal sagen, überdachter Pavillon in der ohnedies überdachten Industriehalle, das sollte mir Nahendem irgendetwas sagen, ich weiß nur nicht, was, der Pavillon also öffnete seine Tür, ich trat ein, fand mich im Drinnen eines abgedunkelten Raums, darin ein Schreibtisch, darauf eine Tischlampe. Die Tischlampe war die einzige Leuchtquelle im Raum, hinter dem Tisch saß ein Weißkittel, ich durfte Platz nehmen auf einem Stuhl vor dem Tisch, der Weißkittel trug Maulkorb, sein Gesicht war dämonisch angeleuchtet, Wirkung der Tischlampe, wieder begann die Befragung.
Vor allem die Medikamenteneinnahme wurde einlässlich vorgetestet. Ich hatte nichts vorzuweisen. Nein, keine Vorerkrankung. Nein, kein Zucker. Nein, keine Medikamente. Kein Bluthochdruck. Einfach bloß ich.
Der Weißkittel fragte: Hier stehen verschiedene Impfstoffe zur Auswahl. Welchen wollen Sie?
Ich antwortete höflich und wahrheitsgemäß: Von mir aus können Sie mir gerne eine milde Kochsalzlösung spritzen, macht für mich keinen Unterschied.
Der Weißkittel, aus dem Stand heraus, ergiftete: Wir können das hier auch abbrechen, dann notiere ich, Impfung nicht durchführbar, wegen Widersetzlichkeit des Patienten.
Ich war weder sein Patient noch im Geringsten widersetzlich, aber ich wollte keinen Streit, also fragte ich nur, in möglichst sanftem Ton: Sie wollen eine Diskussion mit mir anfangen?
Es fetzte richtig in dem Weißkittel, er war doch die Autorität, ich sah, es sprang richtig in ihm, es drohte, ihn zu sprengen, er wollte auffahren, er wollte losschreien, er riss sich mühsam zusammen, er herrschte und trumpfte, und fingerte dabei fahrig auf seinem Schreibtisch herum: Wenn ich als Arzt hier Fragen stelle, ist das keine Diskussion, sondern das dient der Abklärung. Sind — sind Sie gegen irgendetwas allergisch?
Ich, in immer demselben sanften Ton: Ja. Gegen Bevormundung und Nötigung.
Es war seltsam, aber die Hände des Weißkittels zitterten. Der Mann war offenbar schwerer Choleriker, und konnte sich kaum noch beherrschen.
Er machte Notizen, er paraphierte, mit so hastigem Stift, dass das Papier einriss unter dem Druck.
Haben Sie noch irgendwelche Fragen? brachte er hervor.
Ich: Ja. Wann darf ich hier wieder raus?
Darauf antwortete er nicht mehr, sondern sprach nur, mit weisendem Finger: Dort gehts zur Impfung.
Ich verkniff mir jedes Wort zum Abschied, wiewohl mir als höflichem Menschen das schwerfiel, das „Auf Wiedersehen!“ geht einem ja so leicht von den Lippen!, und also verließ ich grußlos den Raum und trat hinaus in einen rechtsweisenden Korridor, an dessen Ende eine weitere weißgekittelte Person wartete, mich hineinwinkend durch eine Seitentür in einen Raum, der nach seiner Ausstattung mit Liege und Medikamentenschrank als Behandlungszimmer erkennbar war.
Dieser Weißkittel, endlich, das war der Hohepriester!
Der spendete die Heilige Kommunion der Impfung! Endlich! Endlich die Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen!
Ich durfte mich setzen, die Tür wurde geschlossen, ich musste den Oberarm „freimachen“, die Frage „Muss das sein?“ wollte mir auf die Lippen, ich beherrschte mich aber. Ich muss dazu erklären, vor fremden Personen zu nackten, verursacht mir einen schier unüberwindlichen Widerwillen, keine Macht der Welt würde mich dazu vermögen, im Sommer auf der Straße kurze Hosen zu tragen, persönliche Marotte, ich weiß, aber öffentlich viel nackte Haut vorzuzeigen, das ist ein Vorrecht der jungen Weibchen, das macht die Welt hell und heiter, bei alten Männern ist das nur ekelhaft.
Jedoch, der Notwendigkeit gehorchend und mich ins Unvermeidliche fügend, gehorsamte ich ohne Widerstand und „machte frei“.
Der Priester zog eine Spritze auf, und dann fing er nochmals an zu fragen!
Haben Sie schon einmal Nebenwirkungen bei Medikamenten bemerkt?
Ich: Ich weiß nicht einmal, was Wirkungen sind.
Er, ratlos nach Worten suchend, dann, nach dem rettenden Einfall grapschend: Wie fühlen Sie sich?
Ich, jetzt wohl doch mit unüberhörbarer Feindseligkeit: Könnten wir weitermachen?
Er tat, was seines priesterlichen Amtes war, er setzte mir die Nadel. Ich gebe zu, ich kochte innerlich. Ich hoffe immer noch, ich habe mir nichts anmerken lassen. Ich hätte zu gern einen Skandal verursacht. Ich hätte dieses weißgekittelte Stück Vieh zu gerne gefragt, wörtlich: Sie sind doch Arzt, Sie haben eine akademische Ausbildung hinter sich, Sie haben einen Doktortitel, Sie haben Berufserfahrung, was bringt Sie mit diesem Hintergrund dazu, an einem so frechen, aufgelegten Schwindel wie dieser Kultveranstaltung hier teilzunehmen? Was bringt Sie dazu, hier mitzumachen? Was veranlasst Sie dazu, sich zu so etwas herzugeben?
Ich hielt den Mund, ich fühlte ein leichtes Piksen, ein Pflaster wurde aufgelegt, das sich hinterher als äußerst haltbar herausstellte, ich durfte mich wieder ankleiden, ich floh, anders kann ich es nicht ausdrücken, wieder vermochte ich es beim Abschied nicht, Höflichkeit vorzutäuschen, ich entfernte mich grußlos, ich schloss die Tür hinter mir.
Erneut schrankengesicherte Korridore, Barrieren, wieder ein Schalter mit Panzerglas, gestempelte Papiere wurden mir überreicht.
Die Heilige Kommunion der Impfung war mir gespendet worden, ich war aufgenommen in die Gemeinschaft der Gläubigen, mit allen Rechten und Pflichten.
Ich bekam einen Barcode verpasst, den pflegte ich zu Hause in mein Smartphone ein, der Barcode versichert beim Eintreten in geschützte Räume, ich bin ein ordentliches Mitglied der Gemeinschaft, von mir geht keine Gefahr mehr aus. Wo immer ich eintrete, ich weise den Barcode vor, ich werde akzeptiert.
Ich habe das Ganze abgekürzt erzählt, in der Realität gestaltete die Sache sich umständlicher, ich musste zwei Mal vorsprechen im Heiligtum, im Abstand von vier Wochen, und nach Empfang der zweiten Heiligen Kommunion galt es nochmals zwei Wochen zu warten, bevor der Barcode Gültigkeit gewann, aber das ist ja egal, malt euch die Details selber aus.
Ich habe versprochen, zum Thema nur beizutragen, was ich aus eigener Erfahrung wirklich weiß und erlebt habe.
Was habe ich erlebt?
Nichts. Da war nichts. Nichts als die hysterische Schnatterfletsche übergeschnappter Äffchen in ihrem selbstgebastelten Angstkäfig.
Dies immerhin kann ich mit Wahrheit melden.
(Das schrieb Peter Flamm für diese Seite am 15.10.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)