Gehirnpest

Peter von Mundenheim ist ums Leben nicht dazu zu bringen, über die sogenannte Pandemie zu schreiben. Also tue ich das jetzt, an seiner Stelle. Ich habe dazu eine gewisse Berechtigung. An seiner Stelle zu schreiben in dieser Sache, meine ich. Wir sind beide gleich alt, geradehin gesagt, wir sind beide alte Säcke, wir sind sogar am gleichen Tag geboren. Zufall. Wir kennen uns schon ein ganzes Leben, er kennt mich ein bisschen besser als ich ihn, das hat professionelle Gründe, er ist Schriftsteller, und kann sich also fehlende Stücke im Puzzle zusammenreimen, während ich die Lücken immer offen lassen muss.

Vorweg zu klären wäre, warum überhaupt schreiben über die Epidemie? Schreiben über die Epidemie heißt, eine Sache wichtig reden, die nicht wichtig ist. Da wäre es angebrachter, über Hexen zu reden. Hexen gibt es wirklich, wer wäre nicht schon einer begegnet, in jeder Behörde sitzt eine, und sie sitzt immer in genau der Stube, in die du hinein musst, und dennoch jault alle Welt, Hexen! gibts doch gar nicht, ist ja lächerlich, hat die Wissenschaft jetzt rausgekriegt.

Ich hab niemals eine Ahnung, was die Wissenschaft jetzt wieder rausgekriegt hat. Ich weiß aber, es gehört zur selbstverständlichen Geschäftsgrundlage der Vernunft, dass sie heute was rauskriegt und morgen das Gegenteil, und dass also alles Wissen und alle Erkenntnis immer auf Vorbehalt in der Welt sind. Morgen wissen wir es besser, ist die Hoffnung. Eine Vernunft, die behauptet, nun wissen wir ein für alle Mal Bescheid, ist keine Vernunft, sondern Aberglaube.

Wenn ich in Gelände hineinsteuere, in denen über die Pandemie geredet wird, wachsen vor mir Gestalten aus dem Boden, die herrschen mich an: Du glaubst das jetzt! Denn das ist jetzt alles wissenschaftlich bewiesen! Da gibt es keinen Zweifel! Bekenne dich! Stimme ein in das Glaubensbekenntnis! Begrüße die Maßnahmen! Spreche mit im Chor! Sei gemeinsam! Es gibt keine Alternative!

Ich werde nicht gerne angeherrscht. Oder besser gesagt, wenn ich angeherrscht werde, in welcher Sache auch immer, weiß ich, mit der Sache stimmt was nicht. Insofern könnte ich das Angeherrschtwerden natürlich willkommen heißen, denn es ist ein untrügliches Indiz dafür, dass mir ein Schwindler gegenübersteht. Und was das Glaubensbekenntnis anbelangt, so habe ich eben schon gesagt, finales Wissen zu besitzen, behaupten wieder nur die Schwindler. Alles menschliche Wissen ist vorläufig und der Befragung und dem Wandel ausgesetzt.

So ist also der Verdacht, bei der Sache mit der Pandemie handle es sich um ausgemachten Schwindel, doppelt begründet. Die Behaupter der Pandemie stellen sich jedem in den Weg und herrschen ihn an, und sie versichern, unser Wissen und unsere Maßnahmen sind alternativlos.

Nun könnte ich mich mit solcher Einsicht ja zufrieden geben und mich um die Pandemie und all das Geschrei gar nicht kümmern. Ihr wisst alle, wie illusorisch solche Haltung wäre. Ich lebe nicht auf einer Insel der Seligen. Ich unterhalte einen kleinen Verlag, ich muss raus, ich muss mich kümmern. Und wenn ich also rausgehe, wo ich hinkomme, wo schon einer steht und geht, wird geredet über die Pandemie. Kaum stelle ich mich an die Haltestelle, auf die Straßenbahn zu warten, kaum betrete ich ein Geschäft, muss ich schon einen Maulkorb umtun. Im Augenblick sitze ich in meinem kleinen Büro an meinem PC und tippe. Aber ich tippe doch für eine Seite, die ist nachher öffentlich einsehbar! Darf ich da überhaupt sitzen ohne Maulkorb? Darf ich das??? Ich trinke gern meinen Tee beim Tippen. Ja darf ich denn das? Darf überhaupt noch irgendjemand irgendwas?

Das bringt mich ins Grübeln, und das gefällt mir nicht. Wenn ich schon anfange zu grübeln, dann soll die Sache es auch wert sein. Ist die Pandemie das wert? Wenn niemand mehr was darf, sind die Leute vermutlich selber schuld. Warum akzeptieren sie die Bevormundung? Warum lassen sie sich Befehle erteilen? Warum machen sie mit? Warum ducken sie sich? Warum fangen sie an zu kriechen, sobald ein Befehlshaber auftaucht? Warum spähen sie sabbernd in die Glotze und warten auf neueste Anweisungen? Warum schreien sie nach Maßnahmen? Warum glauben sie, was ihnen gesagt wird? Warum vertrauen sie nicht auf ihre eigenen Erfahrungen? Warum lassen sie sich vorbuchstabieren, was sie zu glauben und zu fürchten haben? Warum lassen sie sich von Fatzken und Laffen auf einem flackernden Bildschirm die Welt erklären, da sie doch nur vor die Tür gehen müssten, die Welt persönlich zu erleben?

Die Wesen da draußen auf der Straße, und alle die Wesen nebenan, in ihren Wohnungen und Häusern, das sind alles Menschen. Also Wesen, die in der Wirklichkeit leben und die Wirklichkeit kennen von Geburt an.

Wenn ich die Wirklichkeit kenne von Geburt an, warum soll ich mich anherrschen lassen von wem auch immer, he du, das ist aber nicht die Wirklichkeit, was du da für die Wirklichkeit hältst, ich erklär dir das jetzt mal, was die Wirklichkeit wirklich ist, und du bist still derweilen und hältst das Maul, und wenn ich fertig bin mit Erklären, dann hältst du erst recht das Maul, und tust, wie wir dir sagen, da gibt es keine Alternative!

Vor allem tust du dir erst mal den Maulkorb um, und vor allem, das heißt nicht Maulkorb, das heißt Mundschutz! Und vor allem, wir haben recht! Das sprichst du jetzt nach! Wir haben recht!

Das soll ich mir sagen lassen?

Wenn einer sich so etwas sagen lässt, ist er selber schuld.

Nun also. Jetzt hab ich euch erklärt, warum es vielleicht eine sinnvolle Sache wäre, über die Pandemie zu schreiben. Ich habe damit noch nicht gesagt, dass ich es wirklich tun werde. Aber ich lass mir das durch den Kopf gehen, versprochen.

(Das schrieb Peter Flamm für diese Seite, am 12.10.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)