Birgit und Alfred hatten sich einem Besuch des „Theaterworkshop Am Schlaghammer“ unterzogen, eine halbstündige Fahrt durch ein aufgelassenes Fabrikgelände im Süden der Stadt hatte sie zu einer Lagerhalle geführt, satt von Rost, die hatte in ihrem Schoß geborgen eine „Szenische Begehung“: auf fünf verschiedenen Bühnen – Planken quergelegt über ausgediente Heringsfässer – waren deutsche Leitartikel von 1945 bis zur Gegenwart entlarvend dramatisiert worden, und während die Schauspieler auf allen Bühnen gleichzeitig agierten, sich gegenseitig überschreiend, musste das Publikum in einer komplizierten Achterschleife an ihnen vorbeiflanieren, von einem Spielort zum nächsten, immer rund um die Halle, fünfeinhalb Stunden lang, Alfred war begeistert gewesen, „ein ganz neuer, schlüssiger, sinnlich unerhört wirksamer, ja, unter die Haut gehender Weg, Geschichte konkret erfahrbar zu machen“, hatte er gelobt.
Hinter ihnen hatte eine junge Studentin vor Hunger und Erschöpfung zu weinen begonnen, und eine andere hatte sich übergeben müssen, weil ihr von dem Heringsgeruch übel geworden war, aber sie hatten nicht weglaufen können, der Begehungspfad war durch Stacheldrahtverhaue abgesichert gewesen, die sollten „die geistige Ausweglosigkeit deutscher Nachkriegsreaktion im Zeichen des Kalten Krieges“ symbolisieren, hatte Alfred erklärt.
Immer im Kreis.
(Das schrieb Peter von Mundenheim in „Das Leben in unserem Tal“, Kapitel 4, Druckfassung Seite 64-65, erhältlich bei amazon oder im Buchhandel. Dieser Ausschnitt veröffentlicht 09.10.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)