Die Dämonen

… der Junge saß ganz hinten in der leeren Bank und fror, wie er nie zuvor im Leben gefroren hatte.

Und dann sah er den Kaufmann. Sah ihn so deutlich, wie ihr mich jetzt seht, will sagen, sah ihn deutlicher, als er die geschorenen Hinterköpfe vor sich sah.

Sah das goldene und rote Wams des Kaufmanns, das federgeschmückte Barrett. War wohlhabend, der Kaufmann, war jovial und freigebig, warf den Bettlern am Straßenrand Münzen zu, und einen freundlichen Gruß, von seinem weißen Pferdchen herab, das Pferdchen war nicht groß, aber mutig und munter, und trug seine Last mit stolzen Nüstern. Der Kaufmann war wohlbeleibt, die Fülle des Reichtums hatte Spuren hinterlassen auf seinen Rippen, und seine Tage waren wohlbestellt, die Hufe des weißen Pferdchens klapperten auf dem Kopfstein, und die Giebel der Häuser leuchteten in der Sonne des hohen Vormittags, die Turmglocken warfen zarte Schatten aus Klang hinunter in die Straßen, er war aufmerksamer Laune, der Kaufmann, das war er immer. Nicht guter Laune, auch nicht schlechter. Aufmerksam, das war er. Er hatte sein Kontor verlassen, angelockt von der Lieblichkeit der Umtriebe in den Straßen, da draußen sind Menschen, hatte er gedacht, er liebte die Menschen nicht, aber konnte nicht leben ohne sie, er hätte gern eine Frau gehabt. Seine Geschäfte liefen auch, wenn er das Kontor mal für ein paar Stunden allein ließ, und so war er hinausgegangen in den hellen Vormittag, hinüberzureiten zu dem Laden seiner Muhme, der Frau Gothel, einiges an Spezereien zu kaufen. Man sagte so. Spezereien. Gemeint war etwas anderes. Blauer Rauch von durchdringendem Geruch. Den Kaufmann lüstete danach. Eine kleine Freude braucht der Mensch, wenigstens eine, wenn er schon keine Frau hat, seine Nächte zu teilen.

Der Junge sah ihn. Stolperte ihm vielleicht sogar hinterher, durchs Gedränge der Gassen, er wusste es nicht, er wusste gar nichts, er sah und schaute und sah. Der Mantel des Kaufmanns flatterte um die fülligen Schultern, Mantel brokatgesäumt, knapp im Rahmen dessen, was die Bekleidungsvorschriften der Stadt soeben noch zu gestatten für gut befanden, für seinen Stand.

Alle sagten, die Frau Gothel sei seine Muhme. War sie es? Seine Mutter war lange schon tot, er konnte sie nicht mehr fragen. Solange er denken konnte, war ihm die Frau gewiesen worden als seine Muhme. Nein, er glaubte es nicht wirklich, er akzeptierte es nur. Etwas verband sie. Die Kräuter, natürlich. Aber die Kräuter verbanden die Frau Gothel mit der halben Stadt. Jeder nannte sie Frau Gothel. Warum?

Weil du noch bei jeder Taufe Patin gestanden hast, hatte der Kaufmann einst zu der Alten gesagt, in einem Moment aufspringenden Unmuts. Weil du eine Hexe bist. Jeder fürchtet dich.

Was jeder fürchtet, das bekommt einen ehrenden Namen.

Der Kaufmann sagte solche Sachen. Er sprach auch so zu der Obrigkeit. Nicht, weil er die Macht gehabt hätte. Er fürchtete sich einfach nicht.

Hast du keine Angst, dass ich mich rächen könnte für dein loses Maul? hatte die Frau Gothel gefragt.

Ich lass es mal drauf ankommen, hatte er gesagt, mit dem schrägen Lächeln, das ihm eigen war.

Er hätte so gern eine Frau gehabt. Dann hätte er nicht so sarkastisch sein müssen, er mochte das selbst nicht, er dachte, ich bin kein guter Mensch. Ich wäre gern ein guter Mensch. Gut sein ist besser als böse sein. Bin ich böse?

Nicht so böse wie die Frau Gothel.

Wie böse die Frau Gothel war, erfuhr er an diesem Tag.

Er trat ein in ihren knisternden Laden, trat ein in die Gerüche und die Schatten der hohen Regale mit ihren Tausenden von Schubfächern und Registern, und er sah hoch oben auf der Leiter die Fee, die kleine Elfe, die er kannte, er wusste nicht mehr woher.

Was machst du hier? fragte er misstrauisch.

Er stand noch nahe am Eingang, hatte draußen das weiße Pferdchen in der Obhut des Knechtes gelassen, der ihm vorausgeschritten war.

Die Elfe kam die Sprossen heruntergeklettert, sie war weiß und leicht und hell, ihre Haare fast weiß.

Warum steigst du auf der Leiter umher? fragte der Kaufmann unwirsch, warum fliegst du nicht?

Sie sah ihn traurig an und stellte sich vor ihn hin und drehte sich einmal um sich selbst, so dass er den gebrochenen Flügel sehen konnte in ihrem Rücken, der andere fehlte ganz.

Das hat die Frau Gothel getan, sagte die Elfe, und nun muss ich für sie arbeiten. Ich kann nicht mehr fliegen.

Wie war sie leicht und golden geflogen über die Waldwiese, die Elfe! Dem Kaufmann tat das Herz weh.

Du bist ein böses böses Weib, sagte er zu der Frau Gothel, die eingetreten war. Warum hast du das angetan dem armen Kind?

Das willst du wohl wissen, krächzte die böse Alte, das interessiert dich wohl. Du weißt gar nichts. Sie hat es verdient. Jeder bekommt, was er verdient.

Du noch lange nicht, sagte der Kaufmann mit dem schrägen Lächeln, das ihm eigen war, und dann kaufte er seine Kräuter.

Schick sie nachher zu mir mit der Ware, sagte er mit einem Blick auf die Elfe, die schon wieder die Leiter hinaufgeturnt war. Sie kam wohl leicht die Leiter hinauf und hinunter, denn sie war ganz verhungert, das sah der Kaufmann wohl.

Da lachte die Frau Gothel, und leckte die trockenen Lippen.

Der Kaufmann ritt nach Hause, schloss auf mit goldenem Schlüssel sein prächtiges Haus, und er setzte sich in sein Kontor und dachte an die Elfe, an den zarten weißen Leib, an die gebrochenen und ausgerissenen Flügel.

Die Elfe kam ein wenig später, sie hatte den ganzen Weg zu Fuß gehen müssen, auf ihren zarten leichten Füßen, sie trug das Päckchen mit den Spezereien, und der Kaufmann hieß sie eintreten in sein Haus.

Komm und iss, mein Kind, sagte er zu der Elfe, und die weißen Haare flossen um den Kinderkopf wie Wasser, die Elfe lächelte, und es war ganz das alte Lächeln das sie schon immer gehabt hatte, das hatten auch die Schläge der Frau Gothel nicht zerstören können.

Ich darf nicht, sagte die Elfe, ich muss sofort wieder umkehren, die Frau Gothel merkt es und bestraft mich, wenn ich irgendwo verweile.

Der Kaufmann seufzte und hieß das Gesinde eine Tüte bereiten mit Gebäck und zarten Bissen, nimm das, sagte er, und iss es unterwegs, so verlierst du keine Zeit, du musst essen, sonst stirbst du, ich will dafür sorgen, dass du jeden Tag zu mir kommst, und es soll immer eine Brotzeit für dich bereit liegen.

Er spürte selbst, wie seltsam es war, zu einer Elfe von einer Brotzeit zu reden, aber so waren die Dinge nun, und er ging zu der Frau Gothel und verlangte, dass das Mädchen täglich mit einer Besorgung oder Erledigung zu ihm geschickt werde, die Frau Gothel willfahrte ihm, so groß war seine Macht, und sie lachte hämisch und leckte ihre trockenen Lippen.

So kam nun die Elfe jeden Tag in das Haus des Kaufmannes und bekam ihr Päckchen mit den guten Bissen, aber die Wochen vergingen, und der Kaufmann merkte, dass sie gar nicht fetter wurde, sondern immer nur dünner.

Er fasste sie beim Arm, er spürte, wie zerbrechlich sie war, und ihre Augen waren riesig, wie die einer Sterbenden, da sagte er: Du gehst und verschenkst dein Essen, ich sehe es jetzt.

Sie sagte: Da draußen sind so viele, die hungern. Soll ich an denen vorbeigehen?

Du hungerst selbst, sagte er.

Sie zuckte die Achseln, mit ihren zarten Kinderschultern, sagte lächelnd: Was liegt an mir. Wenn ich übrig habe, gebe ich.

An dir liegt viel, sagte er düster. Du willst eine Heilige sein, ich durchschaue dich. Aber auch eine Heilige sollte ab und zu essen.

Sie sagte nichts darauf und nahm das Päckchen wie immer, und er wusste, sie würde es wieder verschenken.

Ich will nicht, dass du stirbst, dachte er, ich will nicht, dass du fortgehst aus meinem Leben.

So ließ er wieder einmal das weiße Pferdchen satteln und ritt zu der Frau Gothel.

Ich will das Mädchen haben in meinem Haus, sagte er.

Die Alte lachte ihm gerade ins Gesicht, du alter Bock, sagte sie, das Kind ist mir nicht feil.

Jeder hat seinen Preis, sagte er.

Sie zerrten und handelten, zum Schluss kaufte der Kaufmann das Mädchen. Er setzte sie hinter sich auf das weiße Pferdchen und brachte sie in sein Haus, das Pferdchen spürte ihr Gewicht gar nicht.

Nun war sie in seinem Haus, und er konnte darauf achten, dass sie aß. Sie bekam ein warmes Zimmerchen neben der Küche, denn der Kaufmann dachte, wenn die guten Gerüche in ihre Kammer ziehen, all das Gesottene und Gebratene, dann wird ihr Appetit schon kommen.

Ich weiß, warum ich hier bin, sagte sie eines Tages.

Ich liebe dich, sagte der Kaufmann.

Tust du nicht, sagte die Elfe. Du begehrst mich. Meine Gestalt hat dich verzaubert. Das ist keine Liebe. Würdest du mich auch lieben, wenn ich hässlich wäre und ein Abscheu den Menschen?

Er seufzte. Du denkst schon wieder an deine Heiligkeit. Ich bin kein guter Mensch, ich denke an das Leben. Einfach an das Leben. Ja, ich würde dich immer lieben, egal wie du aussiehst.

Er wusste natürlich, dass er log, man sagt solche Sachen zu schönen Frauen, die man ihres Aussehens wegen liebt.

Wenn das so ist, sagte die Elfe, dann wirst du nichts dagegen haben, wenn ich ein hässliches Wesen in dein Haus bringe, sie ist furchtbar hässlich, aber sie bedarf noch mehr der Hilfe als ich, und wenn du wahr sprichst, dass du mir nicht meines Aussehens wegen gewogen bist, so wirst du der Armut Hilfe nicht verweigern, Armut an Leib und Seele?

Bring deine Freundin nur her, sagte der Kaufmann, denn was hätte er anderes sagen sollen?

Die Elfe ging hinaus, weiß und blond und schlank, und kam mit einem Mädchen wieder, das war so schön, dass dem Kaufmann ein Messer durchs Herz fuhr, die schwarzen Locken waren wie der Sturm aus Westen, und die Augen glänzten wie die kostbaren Steine, die zu Schiff aus den Ländern über Meer beigebracht werden. Der Kaufmann wusste sofort, dass sie ein böser Dämon war, und dass die Elfe sie nur sah in ihrer dämonischen Gestalt, hässlicher als jede Kröte, blind und stinkend, indes er, der Kaufmann, nur ihren zauberischen Trug zu schauen vermochte.

Der Dämon lächelte, und wohnte fortan in des Kaufmannes Haus, und der Kaufmann zuckte die Achseln, sie sind sowieso überall, dachte er, warum nicht auch hier.

Wenig später kamen die Büttel und holten die Elfe ab, sie ist eine Hexe, sagten sie, und jetzt wird ihr der Prozess gemacht.

Das war die Rache der Frau Gothel.

Sie war zum Richter gegangen, hatte gesagt, im Hause des Kaufmanns wohnt eine Hexe, sie birgt gar zarten Leib, und geht raus und speist die Armen, sie selber bedarf keiner Nahrung, sie lebt von Luft, aber wohin sie kommt und geht, sie zaubert ein Tütchen mit feinster Nahrung hervor und gibt den Hungrigen, dass die sich sättigen. Nun aber merkt auf, wie schlecht es ihnen bekam. Ist doch krank geworden der, kaum genoss er von der eklen Speise, hat ihr Kind verloren die, fielen die Haare aus jener, kam der Aussatz über diesen. Vergiftet die ganze Stadt!

Der Richter sah an die Zartheit der Elfe, erkannte an ihrem Blick, dass sie ihm niemals zu Willen sein würde, und er hasste sie. Die Frauen waren ihm noch weniger gewogen als dem Kaufmann.

Der Kaufmann eilte aufs Gericht, für die Elfe zu zeugen, aber er wurde nicht vorgelassen, aus dem Keller hörte er ihre Schreie, wo sie sie folterten.

Gesteh! Gesteh die Wahrheit!

Der Kaufmann ging nach Hause, Nacht im Herzen. Er beriet sich mit dem Dämon, und die Schöne lachte und tanzte. Zur Nacht ritten sie hinaus auf den Markt, wo der Mitternachtsbasar gehalten wurde, und Volk war auf den Beinen und trank und handelte unter dem Mond, der glänzte weiß wie Silber, man hätte meinen mögen, Schnee läge auf den Dächern.

Der Kaufmann ritt mitten auf den Markt, den schönen Dämon hinter sich auf dem Sattel, und wieder hatte das mutige weiße Pferdchen keine Mühe, die zusätzliche Last zu tragen.

Auf die Brunnenfassung stellte der Kaufmann seine schöne Begleiterin, dass alles Volk sie sehen könne im Mondenschein, und sie hub an zu sprechen mit heller Stimm und redete und zeugte wider die Frau Gothel, zählte alles auf, was sie getan und verbrochen hatte, die Großmutter Sudelköchin, wie viele Herzen mit Tränken ruiniert, wie vielen Schaden getan durch bösen Zauber, und die Menge lauschte begierig, selbst die Männer der Stadtwache standen still und aufmerksam.

Dann machten sich alle auf den Weg, mit Fackeln, zu dem Haus der Frau Gothel.

Die Alte stand in ihrer Küche und briet Tränke auf zischendem Metall, ihr Unheil noch aufzuhalten, allein auch ihr war es nicht bestimmt, ewig zu leben, die murmelnde Menge zündete ihr an das Haus über dem Kopf.

Sie suchte durch die Hoftür zu entkommen, aber dort wartete der Kaufmann auf sie, und die zwei Wächter, die er bei sich hatte, trieben sie mit ihren Hellebarden zurück ins brennende Haus, sie drehte sich um, bevor sie verschwand in Qualm und Glut, drehte sich um und sah dem Kaufmann in die Augen, er aber blickte unverwandt zurück, stirb, sagte sein Blick, da schritt sie ins Haus, und wenig später hörte man ihre Schreie, als die Kleider Feuer fingen, als ihr Haar Feuer fing, und sie wollte heulend hinausfahren zum Schornstein, aber dort wartete der schöne Dämon auf sie und drückte sie wieder hinunter, so dass sie elend umkommen musste, man fand des Morgens nichts mehr von ihr in der Asche als allein ihre goldenen Zähne.

Der Kaufmann ging aufs Gericht, nun wurde er hinuntergeführt in die Keller und durfte die Elfe besuchen.

Sie war noch weißer als sonst, ihr zarter Körper ganz zerbrochen, aber ihre Augen leuchteten.

Wein doch nicht, sagte sie zu dem Kaufmann, der stand vor den Gittern ihrer Zelle, hinein durfte er nicht, nur sie schauen und mit ihr reden, nicht aber sie berühren. Wein doch nicht. Sie wollen mich nun einmal töten, es ist nicht anders. Ein paar Stunden nur noch, dann ist alles vorbei. Es ist doch nicht schlimm.

Ich wollte aber, dass du lebst! rief der Kaufmann. Was denkst du nur an deine Heiligkeit? Willst du noch deinen Mördern vergeben?

Es ist nicht an mir zu urteilen, sagte die Elfe ernsthaft. Es liegt nichts an dem, was mit mir geschieht.

Nicht? rief der Kaufmann. Mir liegt daran! Was ist mit mir? Warum verlässt du mich?

Du brauchst mich nicht, sagte die Elfe, mit immer dem gleichen Ernst. Du brauchst nur, was du in deinem Herzen trägst.

Die Wachen kamen und sagten, die Zeit sei nun um. Er zog Münzen aus der Tasche, aber auch die stimmten sie nicht um.

Leb wohl! rief er der Elfe zu, und das war ein dummes Wort, er wusste es selbst.

Wein nicht, sagte sie lächelnd. Es ist doch bald alles vorbei.

Am Morgen verbrannten sie sie auf dem Marktplatz, der Kaufmann sah von Ferne zu, wie sie sie auf den Scheiterhaufen führten, ihre kleine Gestalt war kenntlich zwischen den Bütteln, die weißen Wogen ihrer Haare hatten sie ihr abgeschnitten, und dann wurde Feuer an das Holz gelegt. Die Flamme schlug hoch, und nahm die Farbe an von Messing, und stand still und mächtig und hoch, wie glänzend Erz, ganz unbewegt.

Ein Zeichen, wisperte die Menge, ein Zeichen. Sie war gewiss unschuldig.

Von der Elfe blieben nicht einmal die Zähne, das Feuer war so heiß gewesen, es hatte den Holzstoß und die Elfe darauf verzehrt zu weißer Asche, so fein wie feinster Puder, ein Windstoß kam und verwehte die Reste, über die Dächer, es blieb nichts als ein weißer Fleck im Boden.

Am Nachmittag kam der Richter ins Haus des Kaufmanns.

Was willst du? fragte der Kaufmann. Du hast getötet, was mir das Liebste war auf der Welt. Du bist ein Lügner und ein Mörder. Du glaubst nicht an Gott, du glaubst nicht an die Gerechtigkeit, du glaubst nur an deine Tücke.

Wenn ich an die Tücke glaube, sagte der Richter, so glaubst du an die Gier. Was unterscheidet uns?

Sie saßen im Kontor des Kaufmanns, oder vielmehr, der Richter saß, indes der Kaufmann am Fenster stand und düster hinausblickte, hinaus auf die helle Straße, durch die sich das Leben wälzte.

Das ist also, was du glaubst, sagte er, ohne sich umzudrehen. Wir haben kein Leben, wir holen uns unseren Anteil am Leben, der eine nutzt die Tücke der Menschen, der andere die Gier. Das glaubst du?

Jedenfalls bist du nicht besser als ich, sagte der Richter störrisch. Wir können uns nicht besiegen, wir können uns nur schaden. Hilf mir.

Was willst du?

Such mir eine Frau. Du bist Kaufmann, du bringst alles bei. Ich habe Geld. Für Geld kann man doch alles kaufen, heißt es?

Es war gut, dass der Kaufmann mit dem Rücken zum Zimmer stand, so konnte der Richter nicht sehen, wie er lachte.

Ich habe eine Frau im Angebot, sagte er, die wird dich all dein Geld kosten, aber sie wird es wert sein.

Und er klingelte und hieß den schönen Dämon kommen.

Der Dämon trat ein und war so schön in seinen juwelengeschmückten Kleidern, dass der Richter aufstand aus seinem Stuhl und sich verneigte, linkisch zwar, aber der Dämon nahm die Geste freundlich auf.

Hast du schon an Heirat gedacht, mein Kind? fragte der Kaufmann. Hier ist ein reicher und edler Bewerber, der‘s ernst mit dir meint!

Die Augen des Dämons loderten, das war seine Art zu lachen, und es war das gleiche Lachen wie eben das des Kaufmanns, als er am Fenster gestanden hatte, sie sahen sich an und verstanden sich, und der Richter sah zu und verstand nichts, bei all seiner Tücke verstand er nichts.

Du willst mir wohl gefallen, sagte der schöne Dämon zu dem Richter, und wenn du mir schenkst dein Haus und Gut, so will ich dir schenken meinen schönen Leib.

Dem Richter dünkte dies ein wohlfeiler Tausch, und so ward der Handel beschlossen. Bring ihn um, flüsterte der Kaufmann dem schönen Dämon ins Ohr, aber langsam, er soll tausend Tode sterben.

Wenige Wochen später wurde Hochzeit gehalten, so wurde der Kaufmann des Richters Gevatter, und in Tat und Wahrheit war er nun der Herr der Stadt. Seine Geschäfte wuchsen immer noch mehr, und viel Volk wurde ihm Schuldner, er aber war langmütig und gütig, die Menschen priesen ihn, er dachte bei allem, was er tat, der toten Elfe zu gefallen. Den Richter, der nun sein Schwiegersohn war, und den schönen Dämon besuchte er nicht.

Eines Tages sah er auf dem Markt die Zelte fahrender Gaukler, und er stieg von seinem Rösslein und gesellte sich zu den Neugierigen, die standen im Kreis um die Darbietungen des stärksten Mannes der Welt.

Der stärkste Mann der Welt war ein Krüppel, von krummen Gliedern und kurzem Rumpf, aber gefügt wie der Stamm eines starken Baumes, und seine Arme zerbrachen die Rohre gusseiserner Kanonen.

Nach der Schaustellung suchte der Kaufmann lange zwischen den Zelten, fand den starken Mann schließlich hocken in einem Winkel, auf schlechtem Stroh.

Was verbringst du dein Leben mit diesen Menschen? fragte der Kaufmann. Du könntest Soldat sein, hinausgehen in die Welt.

Die Schulden, sagte der starke Mann mit seiner groben Stimme. Ich bin versunken in Schulden, und muss arbeiten für den Gaukler, aber was immer ich verdiene, es geht drauf für mein Essen und meine Unterkunft, und ich komme nicht frei. Wollte schon zu dem Richter gehen, aber alle rieten mir ab.

Da haben sie dir recht geraten, murmelte der Kaufmann und ging zu dem Gaukler. Höre, Freund, sagte er, du hältst in Schuldknechtschaft den starken Mann? Der Trick ist verboten, das weißt du doch wohl?

Was gehts dich an? schnappte der Gaukler, denn nach Gauklerart versuchte er es erst einmal mit Blendung.

Wenn er arbeitet und arbeitet, der starke Mann, entgegnete der Kaufmann beschaulich, und verdient dennoch nichts, kann er meine Ware nicht kaufen. Das machst du, und wenn ich auf meiner Ware sitzenbleibe, werde ich‘s dir gedenken.

Wir werden gewiss eine Lösung finden, sagte der Gaukler hastig.

Sie fanden eine, der Kaufmann kaufte frei den starken Mann, wie er die Elfe freigekauft hatte, und ließ ihn hinter dem weißen Pferdchen hertrotten, auf dem Weg nach Hause.

Der starke Mann bekam die Kammer, die die Elfe bewohnt hatte, ich wills besser machen mit dir als mit ihr, sagte der Kaufmann traurig, und du sollst wohnen im Haus und über mich wachen, denn sind Mächte in der Welt, die wollen mir nicht wohl.

Das will ich wohl tun, sagte der starke Mann, und blieb fortan dicht hinter dem Kaufmann, hockte im Kontor neben seinem Tisch, und wenn er ausritt, humpelte er dem Pferdchen hinterher, und alle die es sahen wussten, nun müssen wir uns in acht nehmen.

Nicht lange drauf begegnete der Kaufmann bei einem solchen Ausritt seinem Schwiegersohn, dem Richter, und seiner schönen jungen Frau, dem Dämon. Sie saßen beide in einer offenen Kutsche, des schönen Sommerwetters zu genießen und sich an dem Volk in den Gassen zu erfreuen, und vor allem natürlich, um gesehen zu werden. Das galt jedenfalls für den schönen Dämon, der lachte und winkte den Menschen zu, und seine Augen glänzten vor Lust beim Gedanken an all die schlimmen Dinge, die er noch tun wollte. Der Richter neben seiner schönen jungen Frau aber war anzuschauen wie ein eben noch lebender Leichnam, fahl und zerstört, nicht besser als ein Haufen Gerümpel.

Der Kaufmann ritt herbei und lachte dem Richter geradewegs ins Gesicht, und dann fragte er den Dämon: Bereut er die Hochzeit schon?

Jeden Tag, antwortete der Dämon, jeden Tag heize ich ihm die Hölle ein, und ich werd‘s ihm noch schlimmer machen, das ist meine Lust.

Und sie redeten so laut, dass der Richter jedes Wort hören konnte, er wusste längst, dass sie sich verabredet hatten, der Dämon und der Kaufmann, aber was sollte er tun? Er war eingegangen den heiligen Bund, hatte seinen Eid geschworen vor dem Altar, und nun war er dem Dämon verbunden.

Der Kaufmann sah ihm ins Gesicht und sagte: Du hast getötet, was mir das Liebste war in der Welt. Nun leide.

Er wird leiden, sagte der Dämon, und sie lachten beide, der Kaufmann und der Dämon.

Der Richter aber war mit Blindheit geschlagen, er sah nicht den starken Mann hinter dem Pferdchen des Kaufmanns, das hatte auch der Dämon gemacht.

Nicht lange danach kam der Mörder ins Kontor des Kaufmanns, es war lange nach Mitternacht, der Kaufmann saß noch über seinen Büchern und rechnete Verlust gegen Gewinn, wie es das Amt des Kaufmanns ist, das war nun seine ganze Freude im Leben, da die Elfe tot war, und auch die Kräuter der Frau Gothel hatte er nicht mehr.

Den Mörder hatten nicht Tür noch Schloss aufgehalten, er stand plötzlich mitten im Kontor, und der Kaufmann blickte zu ihm auf und runzelte die Stirn.

Du hättest wenigstens klopfen können, sagte er.

Der Mörder war schlank und geschmeidig, ich kündige mich niemals an, sagte er, das würde den Spaß verderben.

Ja, der Spaß, sagte der Kaufmann. Wie willst du es tun?

Ich werde dir den Hals zudrücken, sagte der Mörder, und dann wird dein Gesicht blau werden, und deine Augen werden glotzen, und die Zunge wird dir springen aus dem Maul. Und mein Gesicht wird das letzte sein im Leben, was du siehst.

Das hast du dir fein ausgedacht, sagte der Kaufmann, hat dir denn dein Freund, der Richter, nicht noch ein letztes Wort für mich mit auf den Weg gegeben?

Wohl, sagte der Mörder, aber ich verstehe es nicht. Ich soll dir sagen, er leidet es nicht länger, dass du zusiehst. Wobei du zusiehst, hat er nicht gesagt. Weißt du es?

Ich soll seine schöne Frau nicht länger ansehen, sagte der Kaufmann lächelnd, und das leuchtete dem Mörder ein, und er nickte und wollte sich ans Werk machen, aber da sagte der Kaufmann, was sollte mich wohl hindern, sie ferner anzusehen? und der Mörder leckte die Lippen, wie es einst die Frau Gothel getan, und sprach, der Tod, und der Kaufmann entgegnete, was hat dein Tod mit der schönen Frau des Richters zu tun? da begriff der Mörder, dass er einen furchtbaren Fehler gemacht hatte, und ehe er sich besinnen konnte, wuchs hinter ihm aus den Schatten des Kontors der starke Mann empor und umklammerte ihn mit eisernen Armen, dass er sich nicht mehr rühren konnte.

Du glaubtest wohl, ich sei alleine, sagte der Kaufmann ganz leise, und öffnete in seinem Tisch eine verborgene Lade, daraus holte er ein blitzend Messer hervor, mit einer Klinge so dünn und scharf, dass sie ein fliegend Spinngeweb mitten in der Luft in zwei Teile schneiden konnt.

Der Kaufmann schritt um seinen Tisch herum, stellte sich vor den schnaufenden Mörder, der im Klammergriff des starken Mannes keine Luft bekam, sah dem Mörder ins Gesicht, sagte, deine Augen treten so merkwürdig hervor – und stach ihm das Messer mitten ins Herz.

Das Messer aber war so fein und scharf, die Wunde schloss sich alsgleich, da der Kaufmann die Klinge wieder hervorzog, und der Mörder verblutete nach Innen.

Wirf ihn auf die Straße, wie man es mit dem Unrat macht, sagte der Kaufmann, die Müllwerker sollen ihn am Morgen auflesen, und der starke Mann stieg hinauf in den Giebel des Hauses und warf den Toten hinunter auf die Straße.

Am Morgen wurden von den Nachbarn die Wächter gerufen, die Leiche auf der Straße zu inspizieren, aber da kein Blut zu sehen war, hieß es, der war betrunken und hat sich in der Dunkelheit den Hals gebrochen. Und gebrochen war sein Hals wirklich, aber weil der starke Mann ihn aus dem Fenster geworfen hatte.

Der Kaufmann schrieb einen Brief an den Richter, seinen Schwiegersohn, darin stand: Es ist doch ein gar hässlich Ding, dass ich morgens aufwache und es liegen Tote vor meiner Tür auf der Straße, willst du nicht besser sorgen für deine Stadt? Der Richter aber war schon so krank zu dieser Zeit, dass er sich den Brief vorlesen lassen musste von seiner schönen Frau, dem Dämon, und sie las und lachte ihn aus in seiner Schwäche, ei, sagte sie, wie sind doch alle deine schlauen Plane nun vereitelt, und den Spott bekommst du drauf umsonst. Nicht lang danach starb er.

Es weinte niemand wegen ihm, und alles Volk verlangte, dass der Kaufmann nun auch der Richter sein solle, und so trug er fortan zu seinem Barrett den glänzenden Pelz des Richters um die Schultern, und er richtete weise und gerecht, der starke Mann stand hinter seinem Stuhl an den Gerichtstagen und verlieh seinen Sprüchen Nachdruck.

Wenn er auf seinem Pferdchen durch die Stadt ritt, denn das war und blieb seine Freude, begegnete er zuweilen seiner Tochter, der Wittib des toten Richters, die saß in ihrer Kutsche und ließ sich sehen, und sie grüßten sich gar artig, niemand sah das Lachen, das sie tauschten.

Wäre die Elfe am Leben geblieben, dachte der Kaufmann, und hätte sie mich erhört, ich hätte vielleicht ein Leben haben können. Ich hätte vielleicht sogar ein guter Mensch sein können. Ist irgendwo Gott?

(Auch dieser Text ist ein Ausschnitt aus einem unveröffentlichten Manuskript Peter von Mundenheims. Es gilt der gleiche Vorbehalt, der unter „Literatur und Fälschung“ am 06.10.2021 notiert wurde. Veröffentlichung dieser Fassung am 08.10.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)