Der bunte Regen der Wörter

Das Bewusstsein schaut sich um in den grenzenlosen Ländern des Bewusstseins.

He du, das ist doch eine Tautologie!

Weiß ich auch, aber die Dinge sind, wie sie sind, und ich muss sie sagen, wie sie sind. Das Bewusstsein schaut sich um, es ist seiner selbst bewusst, natürlich ist es das, das geht ja schon aus dem Wort hervor, aber es ist ortlos, denn es ist mit sich selbst identisch. Es hat keine Grenzen. Das ist die Wahrheit. Das Bewusstsein kennt sich nicht.

Wohin es auch geht, das Bewusstsein, es ist selber schon da. Es findet sich selber vor, und niemals kennt es sich. Niemals weiß es, was ihm begegnet. Es biegt um die Ecke, und hat keine Ahnung, was da sein wird, hinter der Ecke, nur dass es selber da sein wird, das weiß es.

Die Gelände ringsum sind von ungeheurer Weite. Sie sind aber keineswegs leer, sondern durchlebt von purzelnder, überbordender Fülle. Von allen Seiten, von allen Horizonten her kommen die Inhalte herbei, kommen hereingestürzt wie Starenschwärme, oder segeln durchs Oberhalb wie die majestätischen Flottillen der weißen Sommerwolken.

Und natürlich kommen die Hasser hereingetrampelt, auch die sind plötzlich da, sind hereingebrochen über die Außengrenzen, und das Bewusstsein weiß nicht, wie es sich wehren soll, davon habe ich schon geredet.

Das Bewusstsein wünscht sich eine weite Mauer um die Grenzen, auf deren Kronen sollte eine nackte Göttin zugange sein, zornsprühend die Feueraugen, und sie wird dem heranbrandenden Geander die Nagelpeitsche durch die Fresse reißen.

Das Bewusstsein betet darum, dass eine solche Göttin erscheinen möge, es betet vergeblich, es muss sich selber behelfen.

Einstweilen träuft ein in die Länder der bunte Regen der Wörter. Tanzende Schneewirbel, jagende Zwitscherschwärme, Wörter ohne Ende.

Das Bewusstsein hört zuweilen belehrende Stimmen, es mache die Wörter. Es weiß aus Erfahrung, sobald da Stimmen sind, die den Belehrungston anschlagen, lügen die. Das Bewusstsein macht alles Mögliche, aber bestimmt nicht macht es die Wörter. Die Wörter flügeln herein, sie stürzen ein, aus dem Außerhalb, aus jenem Außerhalb, das ebenfalls Bewusstsein ist, denn wenn sich das Bewusstsein bewegt in Richtung jenes Außerhalb, findet es wieder Bewusstsein vor.

Das Bewusstsein fühlt sich ergriffen von einer ungeheuren Lust am Wandern. Überall neue Dinge! Überall blühen die Wiesen hervor, Blüten und Gräser wiegen sich im Wind, die sah kein Auge zuvor, und der Wind weht, wie es ihm passt.

Aber die Wörter. Die Wörter zwitschern und tanzen, in geflügeltem Unmaß. Das Bewusstsein, in dem diese Wörter zugange sind, verlegt sich darauf, das Gezwitscher der Wörter mitzuschreiben. Das Bewusstsein entdeckt, die Wörter sind keine Einzelgänger. Natürlich sind sie das nicht. Sie tauchen ja auf im Schwarm. Es ist Zusammenhang in dem Schwarm, eine gewisse periphere, eine gewisse passagere Ordnung, die stellt sich ein für flüchtige Augenblicke. Das Bewusstsein schreibt diese Ordnungen mit, so gut es gehen will. Im Augenblick, da die Ordnungen aufs Papier gebannt sind, sind sie in der Wirklichkeit des Bewusstseins schon wieder entflattert ins Weithinaus.

Das Bewusstsein liest noch einmal, was es geschrieben hat, und entdeckt in dem Wörterstrom die weitläufigen Zusammenhänge einer Erzählung. Man nennt so etwas einen Roman, weiß das Bewusstsein.

Es hat getan, was es konnte, das Bewusstsein. Wäre es vermöge, hurtiger und aufmerksamer mitzuschreiben, es wäre ein ganz anderer Roman daraus geworden. Einer, in den die jetzt eben eingefangenen Worte irgendwie eingebettet wären, so dass alle Ereignisse, dort beschrieben, einen ganz anderen Sinn bekämen.

Es ist, wie wenn das Bewusstsein irgendwo im Nebel einer tastenden und ringelnden Schlankheit gewahr würde, ohne besondere Farbe, die scheint irgendwo von einem Baum herabzuhängen und suchend um sich zu greifen. Eine Schlange, zweifellos, schmal und elegant und und von einer gewissen Gewähltheit der Bewegungen. Womöglich die Schlange vom Baum der Versuchung? Da kommt eine bunter Wind gefahren, und die Nebel zerstreuen sich, und das Bewusstsein entdeckt, was es für eine Schlange gehalten hat, das war der Rüssel eines Elefanten.

Die Geschichte, die das Bewusstsein aufgeschrieben hat, die ließe sich deuten als eine Schlange. Wäre das Bewusstsein vermöge gewesen, mehr der Worte aufzufangen, viel mehr, so wäre ein Elefant dabei herausgekommen, und das ringelnde Schlangenwesen hätte immer noch einen guten Sinn, aber einen ganz anderen.

Ungefähr so entsteht Literatur. Deswegen wirken die wirklich guten Geschichten immer irgendwie unfertig, da ist noch ein viel größerer Zusammenhang, weiß das Bewusstsein, was solls, ich hab getan, was ich konnte, mehr war halt nicht drin.

Ich hab aufgeschrieben von alledem, was ich nur konnte.

Umsonst?

Nichts geschieht umsonst, oder alles. Vielleicht ist dies das Köstliche an den Dingen des Bewusstseins, dass sie umsonst geschehen.

Das Leben geschieht umsonst, und im Bewusstsein tummelt sich die Fülle der Zuträglichkeiten, alles umsonst.

Die Umsonstheit ist ein gewaltiges Land, da geschehen ungeheure Dinge.

(Das schrieb Peter von Mundenheim für diese Seite, am 30.09.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)