Im Haus des Bewusstseins

Alles, fast alles könnte der Mensch ertragen, wenn er hinterher nicht daran denken müsste.

Das Mittel des Geanders ist Gewalt.

Das Geander will sich einrichten im Bewusstsein, es will im Wohnzimmer auf den Teppich pinkeln, es will die schmutzigen Stiefel auf den Tisch legen. Es will sich höhnisch breitmachen, wo es nicht hingehört. Es will sich Zutritt verschaffen. Das Bewusstsein soll wach sein in der Nacht, und mit Verzweiflung und Angst zusehen, wie das Geander Herr ist im Haus, Herr im Haus des Bewusstseins, und das Bewusstsein soll nicht mehr Herr sein im eigenen Haus, das Geander will Herr sein.

Wie macht das Geander das?

Gewalt.

Gewalt ist immer das Mittel. Dreschende Gewalt, prügelnde Gewalt, Vergewaltigung, oder die subtileren Mittel des Unrechts, der Lüge, der üblen Nachrede, der Verkürzung, des Diebstahls. Gutes Recht wird vorenthalten, höhnische Seitenblicke werden geworfen, verletzende Bemerkungen werden gestreut.

Und das Bewusstsein ist wach in der Nacht, und auf der Bühne des Bewusstsein spreizt sich das Geander und lacht und prahlt, und das Bewusstsein starrt hin, hilfloser Zuschauer seiner selbst. Es will doch gar nicht an die denken! Es muss.

Alles, fast alles könnte der Mensch ertragen, wenn er hinterher nicht daran denken müsste.

Dass das Geander auf den Teppich scheißt im Inmitten des Bewusstseins, das hat nichts damit zu tun, dass das Bewusstsein eben nur lernen müsste, Herr zu sein im eigenen Haus. Wenn die Dinge so einfach lägen, wären wir alle Könige. Wir legten eine zinnenbewehrte Mauer rund um unser Bewusstsein, und rein käm nur, wem wir ausdrücklich den Passierschein ausstellten.

Das Geander kommt aber rein ohne Passierschein.

Kommt rein gegen unseren ausdrücklichen Willen.

Gewalt, das ist das Lösungswort.

Der Vergewaltiger kommt nicht über sein Opfer des kurzen Genusses wegen, oder der schnell verrauchten Ausübung von Macht.

Der Vergewaltiger kommt über sein Opfer, weil er frohlockend weiß, die muss jetzt lebenslang an mich denken.

Der mit der üblen Nachrede, der kommt nicht über sein Opfer, weil er ein Ziel hat und etwas erreichen will. Der kommt über sein Opfer, weil er grinsend weiß, der kann jetzt nicht mehr aufhören, an mich zu denken.

Wer beleidigt, tut dies nicht des kurzen Augenblickes wegen. Er tut das, weil er weiß, das Opfer wird nicht aufhören, an die Beleidigung zu denken.

Der Übergriff, auch der schlimmste, ist immer eine kurze Sache, Sache oft von Sekunden nur.

Auf das Danach kommt es an.

Im Danach lebt der Übergriffige weiter im Bewusstsein des Opfers, vielleicht lebenslang.

Deshalb findet der Übergriff statt, aus keinem anderen Grund. Weil der Übergriffige weiß, hernach hat er einen Platz im Bewusstsein des Opfers auf Jahre hinaus, vielleicht für ein ganzes Leben.

Um dieser Okkupation wegen, Okkupation des anderen Bewusstseins, finden Übergriffe statt unter Menschen. Weil die Opfer sich selber auffressen mit der Erinnerung, und der Täter geht gestärkt von dannen.

Leiden ist allen Menschen aufgebürdet. Der übergriffige Täter aber will nicht leiden, er macht andere leiden. Er tritt zu, und das Opfer leidet unter der Erinnerung an der Tritt vielleicht lebenslang, der Übergriffige aber geht heiter davon und denkt an etwas anderes.

Es sind immer die Opfer, die nachts wach sitzen im Bett und an die Tat denken, niemals die Täter. Die Täter schlafen bestens.

Im Bewusstsein der Opfer wird jede Nacht dasselbe Stück wiederholt. Der Täter schreitet frisch weiter zum nächsten Opfer.

Das ist, was das Geander will. Es will nicht leiden. Nur die Blöden leiden, sagt das Geander, der kluge Mann macht leiden.

Manche ergreifen gleich den passenden Beruf. Der Pädagoge mit den höhnischen Seitenbemerkungen, die das Gelache der ganzen Klasse herausfordern, er weiß ganz genau, das behöhnte Kind wird wach liegen die ganze Nacht und denken an die Demütigung. Weil er das ganz genau weiß, deshalb macht er das ja. Wie frisch er sich dann fühlt, wie befriedigt! Das beleidigte Kind fühlt sich gar nicht frisch, gar nicht befriedigt, und das ist das Sinn.

Was tun?

Das Leiden bleibt keinem erspart. Aber niemand muss leiden machen. Auch das Geander leidet, aber wenn es leidet, sucht es Erleichterung. Es findet sie, indem es andere leiden macht. Es macht leiden, indem es hineintritt in das fremde Bewusstsein und dort auf den Teppich scheißt, Gewalt ist das Mittel. Und das heimgesuchte Bewusstsein, es sucht vielleicht seinerseits Erleichterung, indem es nun wieder einen anderen leiden macht.

Kreislauf, Kreislauf ohne Ende.

Niemand muss da mitmachen.

Leiden muss in diesem Leben jeder, aber keiner muss leiden machen. Das Bewusstsein kann seinen ersten Schritt zur Heilung tun, indem es das Geander ansieht und sagt, bei euren Spielen mach ich nicht mit.

Alles, fast alles könnte der Mensch ertragen, wenn er hinterher nicht daran denken müsste.

Also lautet der erste Vorsatz: ich mache niemanden leiden. Ich will nicht, dass irgend jemand nachts wach liegt meinetwegen.

Und der zweite: ich muss das Geander, das sich breit macht in meinem Bewusstsein, wieder hinausdrängen. Ich muss nicht an das denken, was ich ertragen musste. Ich musste ertragen, was ich ertragen musste, aber daran denken, das muss ich eben nicht.

Könnte ja sein, der Oberspielleiter, wenn er sich nur beharrlich müht im Haus des Bewusstseins, wird eines Tages doch Herr im Haus.

Dieser Tag, der ist dann der Tag der Befreiung.

(Das schrieb Peter von Mundenheim für diese Seite, am 28.09.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)