Das Bewusstsein hat gut zu tun.
Das ist merkwürdig, denn das Bewusstsein macht gar nichts. Es weiß nichts von Grenzen, und es scheint nach allen Seiten hin offen zu sein. Nach allen Seiten hin, und erst recht nach oben. Wohin es auch schaut, überall ist Weite. Dinge strömen herein. Man kann nicht sagen, das Bewusstsein schaut sie sich an. Das Bewusstsein macht nichts mit den Dingen. Die Dinge machen selber. Vor allem machen sie sich sichtbar.
Wunderbare Dinge. Bilder Melodien Worte.
Überhaupt die Klänge. Wolkenstürze von Worten, nicht alle sinnvoll. Vielleicht aber doch. Von manchen Worten weiß das Bewusstsein den Sinn, von anderen nicht. Den Sinn der unbekannten Wörter kann das Bewusstsein lernen, denn es gibt Wörterbücher, die erscheinen auch im Bewusstsein. Natürlich gibt es dann auch noch die Wörter, die stehen nicht im Wörterbuch.
Und dann gibt es das Geander.
Weitschrittig zuversichtlich schreitet herein das Geander, es beachtet keine Grenzen, es kommt herein. Es ist übergriffig. Es klopft nicht an. Schon gar nicht fragt es sich selber, hab ich hier irgendetwas zu suchen? Es bittet nicht höflich um die Erlaubnis, eintreten zu dürfen. Es ist immer schon drin, und da es drin ist im Bewusstsein, legt es die Füße auf den Tisch.
In der Nacht ist das Bewusstsein zuweilen wach, da es doch schlafen sollte, sich mit den Träumen zu beschäftigen. Dies ist die Stunde des Geanders. Höhnisch und boshaft macht es sich geltend. Gestalten sind zugange, die hatten sich Zutritt verschafft ins Bewusstsein mit Gewalt.
Üble Nachrede. Beleidigung. Grenzüberschreitung jeder Art. Diebstahl. Verletzung. Hohn. Zurückweisung. Gift. Triumph. Was gibt es nicht alles.
In der Nacht tanzen diese Gestalten durch das Bewusstsein und wiederholen auftrumpfend ihre Übeltaten. Sie tanzen sie vor, sie paradieren. Sie zeigen alles noch mal, frohlockend. Das Bewusstsein will das gar nicht sehen, wirklich nicht, aber es hat keine Macht. Es ist wehrlos gegen diese Parade der Hasserfüllten.
Die Tat der Hasserfüllten muss übrigens nicht des heutigen Tages geschehen sein. Sie geschah vielleicht vor zwanzig Jahren, vor dreißig, in einem anderen Leben, wer weiß. Nun, in der Nacht, ist sie gegenwärtig im Bewusstsein, die Tat, sie gelangt wieder zur Ausführung, sie gelangt wieder zur Aufführung.
Viele Dinge geschehen im Bewusstsein zur Nacht, aber diese Darbietung des Üblen, die übt einen schmutzigen Zwang aus auf das Bewusstsein, es muss hinschauen, ob es will oder nicht.
Nein, ich will das gar nicht, seufzt das Bewusstsein.
Es weiß, es sollte da nicht hinschauen. Und tut es dennoch. Starrt hin, wie die grinsenden Sieger im Bewusstseinsraum ihre Taten zelebrieren, zum hundertsten Male, zum tausendsten Male, ganz, als sei der Bewusstseinsraum ihr angestammtes Zuhause.
Wie werf ich die wieder raus? fragt sich das Bewusstsein.
Du hast doch alle Macht, rufen bedeutende Stimmen, es existiert nur, was du willst! Aber das kommt dem Bewusstsein gar nicht so vor. Vielmehr scheint es, als seien es die unwillkommenen Heimsucher, die alle Macht hätten. Sie kommen herein, sie drängen sich auf, und das Bewusstsein muss ihre Performance dulden, ihre Darbietung, ihre schmutzige Theateraufführung.
Muss es?
Mach dich ran. Lerne, das Geander zu vertreiben aus dem Bewusstsein. Das Bewusstsein ist eine Bühne, auf der werden Stücke zur Aufführung gebracht ohne Ende. Es scheint, die Schauspieler selber entscheiden, was sie spielen wollen. Sie kommen getrampelt auf die Bühne, wann immer es ihnen einfällt, und dann schneiden sie ihre Gesichter und plärren ihre Sätze, wie es ihnen gefällt.
Sollte nicht das Bewusstsein es sein, das sagt, was ihm gefällt? Und sollte sein Wort nicht Gebot sein?
Sollte da nicht ein Oberspielleiter sein, der knapp und deutlich sagt, räumt diesen Fatzken da beiseite, wie ist der überhaupt auf die Bühne gekommen? Den will ich hier nicht sehen!
Denn hinter den Kulissen, da wartet die Millionenzahl der Erscheinungen, die wollen alle auftreten auf der Bühne und sich zeigen und ihre Sätze sprechen, ihre unerwarteten Sätze, ihre nie gehörten Sätze, solange aber vorne an der Rampe der Fatzke sich spreizt, haben die nicht ihren Auftritt.
Also weg mit dem Fatzken, aber pronto.
(Das schrieb Peter von Mundenheim für diese Seite am 26.09.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)