Obwohl die Straße zahlreiche Dörfer und Brunnen passierte, sah ich nirgendwo einen Zolleinnehmer. Nirgendwo einen Schätzmeister. Überhaupt niemanden, der in seiner Funktion an einen Steuerbeamten erinnerte.
Ich fragte, wer die Brücken instandhielte, die Straßen. Die Herrin, wurde mir zur Antwort. Und wovon bezahlt sie das? Da lachten sie, die Dörfler. Aber aus ihrem Reichtum natürlich! Ich fragte: Also zahlt ihr Steuern? Nun wussten sie sich nicht zu fassen über meine Unwissenheit. Aber sie ist doch der Quell aller Schätze! riefen sie. Wie sollen wir ihr zahlen, was doch sie allein uns gegeben hat?
Und die Alten nickten zu diesen Worten und bestätigten: Sie ist der Quell. Alles kommt aus ihren Händen.
Ich fragte nicht weiter. Die Menschen reagieren empfindlich, wenn man ihren Glauben mit der Ökonomie verknüpft. Es gibt aber nichts, was die Welt bewegt, als allein das Gold. Selbst die Liebe entzündet sich am Gold. Und der Glaube erst recht. Ihr senkt die Knie vor eurer Göttin, wenn sie vors Portal tritt, juwelenüberrieselt der reine Leib. Würdet ihr sie auch lieben, wenn sie im Keller die Asche versorgte, Krätzeflecken auf der Haut?
Nur eine Macht habe ich gefunden in der Welt, die kümmert sich nicht ums Gold: die Geilheit. Aber die ist schnell verraucht, und ohne Folgen. Vornehme Frauen habe ich gesehen, die Spreize machend unter einem Stallknecht, der stank nach Mist. Ergraute Männer habe ich gesehen, schwer von Würde, die rannten eine Hure zu ficken, die die ganze Stadt schon hatte.
Ich sprach davon zu meinem alten Lehrer, und er sah mich an und sagte: Man soll nicht davon reden.
Ich war schon ein junger Mann damals, war auf Reisen gewesen, und mein alter Lehrer erhielt sein Gnadenbrot auf meines Vaters Gut, wie es den Pferden und den Sklaven zusteht. Ich war enttäuscht über seine Antwort und verachtete ihn. Heute weiß ich, dass ich ein Kind war und dumm und hochfahrend. Er hatte recht. In seinen Worten lag die einzige Weisheit, zu der einer kommen kann. Man soll nicht darüber reden.
(Das schrieb Peter von Mundenheim in „An der Mauer“, Druckfassung Seite 59-60, erhältlich bei amazon. Dieser Ausschnitt veröffentlicht 22.09.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)