Das Leiden der Gauner

El Baschir fragte mich nach meinen Wegen in der Stadt. Ich erzählte ihm von meinen Spazierritten, und dass ich an der Mauer gewesen sei. Oft an der Mauer.

Das Leiden des Menschen ist überall gleich unter der Sonne, sagte ich. Ich habe viele Tage gestanden oben auf der Galerie, und was ich gehört habe, das ist unter jedem Himmel zu hören. Soll man Mitleid haben mit den Menschen?

Soll man? fragte El Baschir mit einer wehen Geste seiner Patschhände.

Ich sah ihn an. Und fuhr fort: Aber Mitleid ist wohl übel angebracht. Du begegnest einem Leidenden, da siehst du genauer hin, stellst fest: er ist auch nur ein Gauner, wie alle. Wird sein Leiden schon verdient haben. Irgendwie. Denn selbst der Säugling in der Wiege ist schuldig. Schuldig, ein Mensch zu sein. Denkst du nicht auch?

Seltsamerweise rutschte er unbehaglich hin und her bei meinen Worten. Die ebenholzfarbenen Sklaven nahmen dies als Befehl, ihn aufzuschütteln. Als er sich erholt hatte von der Prozedur, fuhren seine Blicke noch immer suchend über mein Gesicht, als wollte er meinen Mienen den Nebensinn ablesen, den meine Worte ihm nicht verraten mochten.

Wie hart sprichst du! nörgelte er. Hart, hart, hart. Aber das bist du wohl. Ein harter Mann. Lass doch die Menschen leben! Ein jeder muss sich doch durchs Leben schlagen, wie er kann.

Die Weisheit aller Gauner, dachte ich, sprachs aber nicht aus.

(Das schrieb Peter von Mundenheim in „An der Mauer“, Druckfassung Seite 162-163, erhältlich bei amazon. Dieser Ausschnitt veröffentlicht 21.09.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)