Von der Bosheit der Menschen

„Die meisten Menschen sind von Grund auf bösartig.“

Schreib doch sowas nicht, das hören die Leute nicht gerne.

Was hören die Leute denn gerne?

Was ihnen gut reinläuft.

Aber woher soll ich das wissen, was den Leuten gut reinläuft? Ich bin nicht Jesus, ich sehe nicht in die Herzen, noch nicht einmal in die Hirne. Offen gesagt, ich möchte weder das eine noch das andere. Die meisten Menschen sind schlecht. Die meisten Menschen sind von Grund auf bösartig. Und was bitte läuft solchen Menschen gut rein? Es gibt ja auch gute Menschen, man hört davon.

Es kommt übrigens nicht darauf an, ein guter Mensch zu sein. Es kommt darauf an, jeden Tag zu versuchen, ein guter Mensch zu sein. Ein guter Mensch einfach bloß zu sein, das schaffen die wenigsten. Es gibt die wenigen, die sind es einfach, ein guter Mensch, die sind es von Natur aus, die sind vielleicht schon so geboren, wer kann das wissen. Die anderen müssen sich anstrengen, die müssen jeden Tag einen neuen Anlauf nehmen, das ist mühsam, das macht keinen Spaß, die meisten geben den Versuch schnell wieder auf, falls sie ihn überhaupt je aufgenommen haben, und dann sind sie, was die Menschen eben sind: von Grund auf schlecht und bösartig.

So. Dies gesagt, was also hören die Leute gerne?

Die versuchen, gute Menschen zu sein, hören gern die einen Dinge, und die schlechten Menschen, die hören gern andere.

Aber woher soll ich wissen, was für einer das ist, der das hier liest?

Woher soll ich wissen, was der gern hört?

Sollte ich mir darüber wirklich Gedanken machen?

Wer einen anderen Menschen liebt und zu dem redet, der sagt wohl bunte Dinge schöne Dinge anmutige Dinge, einfach um diesem anderen eine Freude zu machen. Wer ins Leere hinein redet, der redet hinein in eine unbestimmte Aufmerksamkeit.

Da ist jemand, der hört zu, zweifellos. Aber wer ist das?

Wer ins Leere hinein redet, der redet hinein in eine ungeheure Stille, die lauscht. Eine Aufmerksamkeit, die spannt sich von einem Ende der Welt zum anderen. Wer redet, und für einen Augenblick innehält und hineinlauscht in diese Stille, hört das Echo seiner eigenen Stimme. Aber er hört noch etwas anderes. Er hört hinein in die hallenden Räume einer Aufmerksamkeit, die geben dem Echo Klang.

Ihr kennt das. Wenn ihr in einer Bahnhofshalle das Echo eurer eigenen Stimme hört, klingt das ganz anders, als wenn euch eure Stimme aus einer Bergschlucht zurückschallt. Im Treppenhaus eurer alten Schule schepperte eure Stimme, wieder anders in dem alten Stiegenhaus, als ihr hochrieft zu der Dachkammer eurer studentischen Freundin.

Und wer also in die Stille hineinredet, hineinredet in diese ungeheure gespannte Aufmerksamkeit, und hört das Echo seiner eigenen Stimme, der sieht der hört dies Echo umkleidet von wechselnden Farben, irisierend, changierend, als ob der hallende Raum der Aufmerksamkeit seine Form wandle ohne Unterlass. Mal klingt dem Redenden das Echo in weichen Flötenfarben, mal in den braunen Regentönen des Herbst, mal wie bestärkt durch ferne Fanfaren. Und da er weiterredet, hört er gar nicht mehr auf seine eigenen Worte, sondern merkt nur immer begieriger auf die Regenbogenfarben, mit denen das Echo seine Worte umkleidet, und endlich redet er nur noch, um immer mehr dieser Farben zu hören, immer mehr.

Und dann ist er weit weg von dem Bedürfnis zu reden, was die Leute gerne hören.

(Das schrieb Peter von Mundenheim, am 19.09.2021, © Verlag Peter Flamm 2021)